IK hat geschrieben:Dein optimistische Meinung zu ALG 1 Und ALG 2 erschließt sich mir nicht. Ein Fahrer, welcher heute 7 € pro Stunde verdient, 208 Stunden arbeitet, hat ein Bruttolohn von 1.456 €. Sein Nettolohn ist 1067. schon damit übersteigt er den Hartz 4 Satz um 250 €. Wenn er arbeitet, fällt ihm die Decke zuhause nicht auf den Kopf. Er hat soziale Kontakte, welche bei Arbeitslosen sich drastisch reduzieren.
Nach der Rechnung könnte er praktisch auch einen 1,- €-Job machen. 250,- € in 208 Stunden entspricht einem Mehrverdient von 1,20 € pro Stunde plus Trinkgeld. Da wäre es doch sinnvoller für ihn, wenn er die Zuverdienstmöglichkeiten (
§§ 11-11b SGB II) ausnutzt, statt für das gleiche Geld einen Arbeitsumfang von 48 Stunden in der Woche ableisten zu müssen.
IK hat geschrieben:Sein Trinkgeld erhöht sein Nettoeinkommen um weitere 320 €. Damit liegt er 570 € über den H4 Satz (inclusive Wohnung). Wie du auf die Idee kommst, er hätte mit H4 genauso viel in der Tasche oder mehr, erschließt sich mir nicht.
Ich hatte geschrieben, dass der Fahrer aufstocken könne bzw. müsse. Dabei habe ich einfach eine Stellungnahme des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales vom 24. Juni nachgeplappert, in der es hierzu heißt:
- Die Frage, ab welchem Bruttostundenlohn ein Alleinlebender in Vollzeitbeschäftigung nicht mehr bedürftig gemäß SGB II ist (Schwellenlohn), lässt sich nicht pauschal beantworten, da der Schwellenlohn insbesondere von den individuellen Kosten der Unterkunft abhängt, die räumlich stark variieren. Darüber hinaus hängt der Schwellenlohn von der individuellen Wochenarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten ab, die je nach Branche und Tarifvertrag variiert.
Bei einer durchschnittlichen Arbeitszeit von derzeit ca. 38 Stunden pro Woche und einem Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde sind Alleinstehende aktuell bedürftig im Sinne des SGB II, sofern ihre Kosten der Unterkunft (KdU) rund 353 Euro monatlich übersteigen. 7 In Regionen mit hohem Mietniveau wird dieser Wert derzeit bereits teilweise übertroffen. Beispielsweise betrugen im Juli 2013 die durchschnittlichen KdU eines Alleinstehenden in München 467 Euro monatlich. Bundesweit hatten zum selben Zeitpunkt ca. 40 Prozent aller alleinstehenden Empfänger von Arbeitslosengeld II KdU von mehr als 353 Euro monatlich, so dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro für diese Haushalte bereits aktuell nicht bedarfsdeckend ist.
Stellungnahme des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales vom 24. Juni, Seite 26
IK hat geschrieben:Kannst du mir das vorrechnen? Ich möchte es wirklich wissen.
Die Berechnung hängt sehr stark vom Einzelfall ab und kann z. B. für die Zuverdientsmöglichkeiten nach den
§§ 11-11b SGB II berechnet werden.
Nehmen wir mal Dein Beispiel mit den 1.067,- € netto + 320,- € Tipp = 1.387,- € gesamt. Soviel erhält der Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber und den Fahrgästen zusammen.
Von diesem Einkommen sind die Mehraufwendungen abzuziehen, die dem Fahrer alleine durch seine Tätigkeit entstehen. Denn, wenn er nicht zur Arbeit ginge, würde er diese Kosten sparen:
- Fahrtkosten für den Arbeitsweg: 156,- €
in Deinem Beispiel müsste der Fahrer den Arbeitsweg 52 mal im Monat zurücklegen, das ergäbe bei Kosten von 3,- € pro Strecke monatl. Mehrkosten von 156,- €
(tatsächlicher) Mehrverpflegungsaufwand: 260,- €
angenommen der Fahrer wendet für die Verpflegung (Kaffee, Schokoriegel, Mittagessen usw.) nur 10,- € pro Schicht mehr als zuhause auf, entständen ihm hierfür in Deinem Beispiel weitere Mehrkosten für 26 Schichten x 10,- €
evtl. Fahrerbeitrag für Funk oder MT: 20,- €
P-Schein-Verlängerung: 3,- €
Natürlich kann der Fahrer diese Aufwendungen einerseits noch vermindern, indem er z. B. mit dem Rad oder zu Fuß zur Arbeit kommt und sein Essen und Trinken selbst mitbringt. Anderseits sind in dieser Berechnung aber auch evtl. Mehrkosten fürs Handy, den schnelleren Verschleiss der Kleidung oder Dinge wie das Hansa-Werbeentgelt noch gar nicht berücksichtigt, obwohl sie bei dem ein oder anderen ganz sicher ebenso anfallen. Überzogen ist diese Berechnung der Mehraufwendungen jedenfalls nicht.
Dem Fahrer verblieben danach einschließlich des Trinkgeldes für seine eigenen Belange
948,- € (1.387,- € abzgl. der Mehraufwendungen für die Arbeit von 439,- €). Hierfür müsste er in Deinem Beispiel 48 Stunden in der Woche bzw. 208 Stunden im Monat arbeiten.
Demgegenüber würde er als Hartz IV-Empfänger ohne weiteres
850,- € im Monat (knapp 400,- € für die Lebenshaltung und z. B. gut 450,- € für die Miete usw.) erhalten. Dafür müsste er nicht arbeiten.
Der tatsächliche Mehrverdienst des Fahrers, der sich in Deinem Beispiel für einen Arbeitsumfang von 48 Stunden pro Woche im Vergleich mit seinem Einkommen als Hartz IV-Empfänger ergäbe, beliefe sich einschließlich des Trinkgeldes(!) auf
98,- €.
Verdient sich der Fahrer als Hartz IV-Empfänger noch 100,- € im Monat hinzu oder hat er einen nach oben abweichenden Bedarf in dieser Höhe, erhält er als Hartz IV-Empfänger bereits
2,- € mehr im Monat als der vollzeitbeschäftigte Fahrer mit einer 6-Tage-Woche in Deinem Beispiel einschließlich des Trinkgeldes verdient. Verdient sich der Fahrer als Hartz IV-Empfänger mehr als 100,- € im Monat hinzu, hat er als solcher bis zur Ausschöpfung der Zuverdientsgrenzen dementsprechend mehr.
Ich wage zu bezweifeln, dass sich unter diesen Bedingungen die meisten Fahrer nicht doch lieber die Decke auf den Kopf fallen lassen anstatt 208 Stunden im Monat zu arbeiten und am Ende einschließlich des ohnehin unsicheren Trinkeldes auch noch weniger zu verdienen.
Ganz zu schweigen von den Fahrern, die nicht -wie Dein Beispielfahrer- sechs Tage, sondern "nur" fünf oder weniger Tage in der Woche arbeiten. Sie würden in Deinem Beispiel von vornherein als Fahrer weniger verdienen als sie als Hartz IV-Empfänger erhielten.
Darüber hinaus glaube ich auch nicht, dass ein Fahrer, der noch halbwegs bei Sinnen ist, Dich angesichts des Mindestlohns im nächsten Jahr noch darum bitten wird, für bloß 7,- € bei Dir arbeiten zu dürfen.