Poorboy hat geschrieben:"TARIFAUSLEGUNG" ist juristisch definiert,
Den Arbeitnehmern in den zitierten BAG-Entscheidungen standen keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen zur Seite. Anderenfalls hätte das BAG ihnen keine Nachtzuschläge nach
§ 6 Abs. 5 ArbZG zugestehen können, da diese schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nur in Betracht kommen, "soweit keine tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen bestehen".
Auf tarifvertragliche Regelungen kommt es bei den gesetzlichen Nachtzuschlägen nur insoweit an, als das Gericht prüfen muss, ob eine vorrangige tarifvertragliche Ausgleichsregelung besteht, um festzustellen, ob es
§ 6 Abs. 5 ArbZG überhaupt anwenden kann. Darüber hinaus können Tarifverträge ihm in einem eingeschränkten Umfang auch Anhaltspunkte dafür liefern, welcher Zuschlag im Sinne der Vorschrift "angemessen" ist.
Insoweit greift Dein Einwand, in den genannten Entscheidungen ginge es um die Auslegung von Tarifnormen, nicht.
Anderseits hast Du aber recht, wenn Du kritisiert, dass von der Tatsache, dass das BAG einen Nachtzuschlag von 10 % für einen ganz bestimmten Rettungssanitäter für angemessen hält, nicht darauf geschlossen werden kann, dass ein solcher Nachtzuschlag auch für alle Nachtfahrer im Taxigewerbe angemessen sei.
Die Frage, wie hoch der Nachtzuschlag eines Taxifahrers ausfallen muss, um noch als "angemessen" zu gelten, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern nur anhand des Einzelfalls beurteilen. Ansonsten ließe sich auch kaum erklären, warum das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg dem Fahrpersonal der Bahn einen Nachtzuschlag von 25 % zugestanden hat (
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.08.2011 - 10 Sa 1450/11 in seinem Endurteil zum
BAG-Urteil vom 18. 5. 2011 - 10 AZR 369/10).
Grundsätzlich gilt, dass dem Arbeitnehmer im Regelfall ein Nachtzuschlag von 25 % des ihm zustehenden Bruttoarbeitsentgelts zu gewähren ist. Davon kann nach oben oder unten abgewichen werden, wenn Umstände vorliegen, die einen höheren oder niedrigeren Prozentsatz rechtfertigen.
Umstände, die bei einem Taxifahrer einen höheren Nachtzuschlag rechtfertigen können, sind z. B. gegeben, wenn der Fahrer...
- ... in Dauernachtschicht, also nicht in Wechselschicht, arbeitet (30 %, siehe BAG, Urteil vom 5. 9. 2002 - 9 AZR 202/01; BAG, Urteil vom 27. Mai 2003 - 9 AZR 180/02).
(Dies beruht darauf, dass eine dauerhaft während der Nacht zu leistende Arbeit gesundheitlich belastender und die Teilhabe am sozialen Leben deutlich mehr beeinträchtigender ist als eine nur an einzelnen Tagen oder einzelnen Wochen in kürzeren Wechseln zur Tagschicht zu leistende Arbeit; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.08.2011 - 10 Sa 1450/11.)
- ... bisher für Nachtarbeit einen höheren Zuschlagssatz, z B. für die Zeit von 0 Uhr bis 4 Uhr den nach § 3 b Abs. 3 Nr. 1 EStG steuerfreien Zuschlag von 40%, erhalten hat.
(Der Unternehmer dürfte hier schlicht in Erklärungsnot gelangen, warum ein bislang gewährter und offenbar für angemessen befundener Zuschlag nun nicht mehr "angemessen" sein soll. Allein die Abwehr von Kosten wäre jedenfalls kein Belang, der für die Höhe des Zuschlags bestimmend sein könnte; BAG, Urteil vom 5. 9. 2002 - 9 AZR 202/01.)
Umstände, die einen niedrigeren Nachtzuschlag rechtfertigen können, sind z. B. gegeben, wenn...
- ... die Art der Arbeit im Hinblick auf die Nachtzeit längere Phasen der Entspannung (Bereitschaftszeiten) umfasst (BAG, Urteil vom 11.02.2009 - 5 AZR 148/08)).
Die Bereitschaftsanteile sind allerdings nur dann anspruchsmindernd zu berücksichtigen, wenn sie der Nachtzeit und nicht dem allgemeinen Betriebsablauf geschuldet sind. Wenn die Arbeitszeit in der Nacht nicht wegen der Arbeit in der Nacht, sondern nur wegen des Betriebsablaufes durch umfangreiche Bereitschaftszeiten entspannt wird, ist das kein Aspekt, der zu einer Reduzierung des Nachtzuschlages führen kann (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.08.2011 - 10 Sa 1450/11). Darüber hinaus fehlt es an einer solcher Entspannung, wenn der Arbeitnehmer laufend Monitore oder andere Kontrollgeräte zu beobachten hat (BAG, Urteil vom 11.02.2009 - 5 AZR 148/08)).
Danach dürfte es sich anspruchsmindernd auswirken, wenn ein Fahrer aufgrund der Nachtzeit lediglich Rufbereitschaft leistet. Die Wartezeit am Posten kann den Nachtzuschlag dagegen nicht reduzieren, weil sie keine Folge der Nachtzeit, sondern dem allgemeinen Betriebsablauf geschuldet ist und während der Tagschicht ebenfalls anfällt. Bei Funkfahrern fehlt es ohnehin an der erforderlichen Entspannung, da sie laufend das Funkgerät im Auge behalten müssen.
- ... Umstände vorliegen, nach denen der mit dem Zuschlag verfolgte Zweck, Nachtarbeit durch Verteuerung unattraktiv zu machen und sie dadurch einzuschränken, nicht erreicht werden kann (BAG, Urteil vom 31.08.2005 - 5 AZR 545/04).
(Solche Umstände dürften bei vielen Taxenbetrieben gegeben sein, da Fahrgäste, die Nachts befördert werden möchten, nicht auf den nächsten Tag vertröstet werden können. Anderseits zeigt die Bereitschaft einiger Taxiunternehmer, keine Fahrer über mehr als zwei Stunden in der Nachtzeit einzusetzen, weil sie die Nachtzuschläge einsparen wollen, sehr deutlich, dass Nachtarbeit zumindest in diesen Unternehmen vermeidbar ist und bei ihnen der mit dem Nachtzuschlag verfolgte Zweck, Nachtarbeit durch Verteuerung einzuschränken, nicht nur erreicht werden kann, sondern sogar bereits erreicht wird, so dass dieser Umstand den Nachtzuschlag dort konsequenterweise nicht reduzieren kann.)
KlareWorte hat geschrieben:Ob man eine individuelle arbeitvertragliche Klausel oder eine tarifvertragliche Klausel am Gesetz misst bzw. überprüft ist wurscht im Ergebnis.
Verstößt eine tarifvertragliche Klausel gegen das Gesetz so verstößt eine ähnlich formulierte individuelle Klausel genauso gegen das Gesetz, auch wenn man aus ein anderen Branche ohne Tarifvertrag ist. Wiederholt eine tarifvertragliche Klausel nur den Gesetzeswortlaut bzw. ist in diesem Sinne auszulegen, so überprüft dann das Gericht den Klagegrund, als ob es das entsprechende Gesetz anwendet.
Der normative Teil eines Tarifvertrages wird nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln ausgelegt. Die Auslegung von Arbeitsverträgen orientiert sich weiterhin an den §§
133,
157 BGB.