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von Marvin » 15.01.2014, 15:47
Ich muss zugeben, dass ich einigermaßen erstaunt über die Entwicklung bei mytaxi und das Getöse um die Vertragsänderungen bin. Am Verhalten der „plietschen Jungs“ überrascht mich lediglich der verhältnismäßig frühe Zeitpunkt der Demaskierung. Der mag dem Druck der Investoren oder der Hybris der Eigentümer geschuldet sein und könnte sich als einer der wenigen taktischen Fehler der beiden cleveren Jungunternehmer erweisen, weil möglicherweise die Marktdominanz noch zu weit von der angestrebten marktbeherrschenden Stellung entfernt ist, um seine Kunden folgenlos derart zu brüskieren.
Viel überraschender finde ich die Empörung derer, die den mytaxi Machern in ihrem wichtigsten Einstiegsmarkt Hamburg so kritiklos die Steigbügel gehalten haben. Besonders der Artikel im Taximagazin zum Thema hinterlässt Ratlosigkeit. Was beabsichtigt der Autor, der neue inoffizielle Sprecher des hiesigen Taxigewerbes, Clemens Grün. Glaubt er ernsthaft, die hamburger möchtegern Zuckerbergs durch gute Ratschläge, Drohen mit Abwandern zur „Konkurrenz“ oder Liebesentzug zum Einlenken zu bewegen. Und was würde ein kurzfristiges Einlenken am grundlegenden Dilemma, das aus der Abhängigkeit des Gewerbes von einem möglicherweise zukünftig zumindest national marktbeherrschenden Unternehmen folgt ändern? Wie kann man angesichts der kurzfristigen Kündigung sämtlicher Verträge darauf hoffen mit einem generösen „Wir haben Verstanden“ abgespeist zu werden?
Das Gewerbe hat sich mit der vorbehaltlosen Unterstützung von mytaxi freiwillig auf den Pfad in die Abhängigkeit von einem New Economy Unternehmen begeben. Sogar die Gewerbevertretung LHT hat für den Beitritt zu mytaxi geworben. Was haben sich die Beteiligten gedacht, als sie geholfen haben, dass mytaxi den Zugriff auf große Teile unseres höchsten Gutes, unsere Kunden, erlangt? Die werden ihre Macht schon nicht missbrauchen? Wir haben denen geholfen, die werden sich bestimmt erkenntlich zeigen?
Es ist doch offensichtlich, dass bei mytaxi der gleiche Geist herrscht, wie bei anderen jungen IT-Unternehmen vom Schlage google, facebook oder ebay: lockerer Habitus bei knallhartem Geschäftsgebaren. Weitestgehende Intransparenz der Datenverwendung und der Verkaufs- oder Verteilungsalgorithmen. Die Unzufriedenheit einzelner Kunden oder lokaler Kundengruppen ist für die Geschäftsentwicklung solcher Unternehmen wegen der großflächigen Marktdurchdringung nicht entscheidend. Nach dem Überschreiten eines bestimmten Marktanteils ist es für Konkurrenzunternehmen äußerst schwer Fuß zu fassen.
Natürlich ist der Leidensdruck durch das dümmliche und überhebliche Geschäftsgebaren der etablierten hiesigen Anbieter groß gewesen. Aber dort besteht zumindest die Möglichkeit durch Einigkeit Druck auszuüben, um Verbesserungen zu erreichen oder ihnen unzufriedene Kunden abzujagen. Es hat auch genug kleine Anbieter oder Genossenschaften gegeben, die kein „Closed Shop“ waren. Aber Teilnahme an Genossenschaften bedeutet finanzielles Risiko und Aufwand bei der aktiven Mitgestaltung. Die „Early Adopters“ von mytaxi haben sich für den vermeintlich einfachen Weg entschieden und einem Unternehmen die Steigbügel gehalten, das dem Taxengewerbe mutmaßlich zukünftig die Bedingungen diktieren wird. Nun werden sie einige Kröten schlucken müssen. Aber sie können doch nicht ernsthaft überrascht sein.
Clemens und Andere haben offensiv die Ansicht vertreten, dass Verteilungsgerechtigkeit nachrangig ist. Hauptsache sei, dass der Kunde schnell und exakt seinen Wünschen entsprechend bedient wird. Was dabei herauskommt sieht man jetzt. Mytaxi kann sogar für Fahrer und Fahrgäste einen score erstellen und bei der Vermittlung auswerten. Ein wichtiger Fahrgast könnte so beispielsweise besonders schnell ein Taxi bekommen, auch wenn der nächste Fahrer einen geringeren Prozentsatz eingestellt hat. Oder es wird bei weiten Touren ein Fahrer mit hohem Prozentsatz gewählt, obwohl andere Fahrer viel schneller wären, weil dass einen höheren Gewinn für mytaxi verspricht. Der Gewichtung der Auswahlkriterien sind kaum Grenzen gesetzt. Klar ist nur, dass die teilnehmenden Fahrer nicht den Hauch eines Einblicks oder gar Einflusses bekommen werden.
Im Zusammenhang von versteigerten Touren mit der neuerdings ausdrücklich vorgesehenen Grundgebühr (Monatsbeitrag) lassen sich alle denkbaren Zentralen-Tarifmodelle abbilden. Sogar das beliebte Untertassen-Modell. Bevorzugte Vergabe an Fahrer mit hoher Grundgebühr - bei Fahrgastüberschuss wird das Fußvolk bedient. Möglicherweise wird mytaxi über kurz oder lang klar werden, wie wichtig es für Taxiunternehmer ist, die Leerzeiten zu minimieren und diese Tatsache in ihr Tarifmodell einarbeiten. Wer schnell eine neue Tour erhält, muss diese teurer bezahlen, als wenn er schon einige Zeit frei gewesen wäre.
Ich glaube nicht, dass der Zug aufzuhalten ist. Schon die angebotene Deckelung der Gebühren auf lächerliche 15 Prozent vom Umsatz, anstatt einer Rücknahme der Kündigungen zeigt, dass die Jungs verstanden haben. Allerdings etwas Anderes, als von den Teilnehmen gewünscht war. Der Zauberlehrling konnte seine Finger nicht bei sich behalten und gibt sich jetzt überrascht, betroffen und empört über die absehbaren Folgen seines Handelns. Zum Glück sind die Jungs bestimmt nicht böse auf ihre Teilnehmer. Dazu sind sie ihnen gar nicht wichtig genug. Auch Clemens bekommt zukünftig bestimmt noch seinen Lattenkaffee in der Großen Elbstraße. Und ein aufmunterndes Nicken, wenn er mit den „plietschen Jungs“ über die schöne neue Taxiwelt philosophiert, gibt’s als Zugabe.
"Ich könnte dir deine Überlebenschancen ausrechnen, aber du wärst nicht begeistert."