Peter Lüchow, + 15.01.2010, einer von uns.

Im Gedenken an unser langjähriges Forenmitglied pl.
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E. G. Engel
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Peter Lüchow, + 15.01.2010, einer von uns.

Beitrag von E. G. Engel » 16.01.2010, 18:24

Zitat Rea im Napp-Forum: Ein Mord ist kein geeigneter Anlass für ein Politikum.


Einerseits hast Du Recht rea, andererseits aber auch nicht. pl ist bei der Ausübung seines Berufes gestorben, bei der Ausübung seines Berufes überfallen und erschossen worden. Es ist ein Politikum. Ich hoffe dass Du mir zum Ende dieses Threads zumindest zu Teilen zustimmst.

Ich möchte auch darauf hinweisen dass ich nicht beabsichtige, auch nicht in geringster Weise, aus dem Geschehnis irgendein persönlich bedingtes gewerbepolitisches Kapital zu schlagen. Ich möchte lediglich auf Sachzusammenhänge hinweisen, die unter Umständen Überfälle auf (Hamburger) Taxifahrer, hier mit Todesfolge, begünstigen, Stichwort: politisches Umfeld/gesellschaftliche Rahmenbedingungen des Gewerbes. Diesen oder einen ähnlichen Beitrag wollte ich schon lange einmal schreiben. Ich denke, jetzt ist es Zeit, auch im Andenken an pl, dann ist sein Tod vielleicht doch nicht ganz sinnlos und umsonst.




pl war ein Kollege von uns, ein Taxifahrer der seine Brötchen auf der Strasse verdiente. Ich weiß zu wenig von ihm, um abschätzen zu können wie er damit zu recht kam. Aus seinen Einlassungen hier im Forum lässt sich aber schließen das er nicht auf Rosen gebettet war, dass auch er versuchte im täglichen Überlebenskampf über die Runden zu kommen. Aber er trugs mit Fassung und einem leicht satirischen Humor. Er war bescheiden und freundlich (ich hatte ihn einmal vor Jahren auf einer Taxendemo treffen können).

Siehe auch BILD online vom 16.01.2010, Zitat:

Das Opfer stammt aus Wedel (Kreis Pinneberg, rund 32.000 Einwohner), war alleinstehend, wohnte dort bei einer Rentnerin (91) zur Untermiete.


Es ließ sich auch erkennen dass er nicht an Veränderungen glaubte, er traute weder Zentralen- noch Verbandsfunktionären so recht über den Weg, ebenso nicht den staatlichen (BSU, Politik) oder halbstaatlichen Institutionen (HK Hamburg). Ob persönliche Erfahrungen dahinter stehen oder nur die intellektuelle Erkenntnis oder beides, ich weiß es nicht. pl war zu intelligent um sich seine Zurückhaltung nur aus den Fingern gesaugt zu haben.



Seit Jahren und in der letzten Zeit besonders findet hier in Hamburg ein permanentes Taxi-bashing statt. Es sind bestimmte Interessenkreise die hier, wenn auch vielleicht unausgesprochen, aber in der Zielsetzung einig, zusammenarbeiten.

Es ist modern geworden auf das Taxengewerbe einzuschlagen. „Taxifahrer wollen keine Kurztouren fahren“, „... erst der zehnte Taxifahrer ist bereit Koffer in die Wohnung zu tragen“, „2 von 3 Taxifahrer kannten die Mövenstrasse nicht“ (Taxitest Hamburger Abendblatt), „Taxifahren wird schon wieder teurer“, „Kutscher, was wollt ihr?“ (Bild, Flughafen 2006), Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung im Taxengewerbe.

Ebenso modern ist es geworden überzogene Ansprüche an das Gewerbe zustellen. Englisch sollen sie sprechen. Kostenlose Mehrwertdienstleistungen (EC, Bestellung, Flughafen, Koffertragen) sollen sie anbieten. „Taxiirrsinn“, BILD-Hamburg 2008 – InterNorga , alle wollen ein Taxi und es ist keins zu kriegen. Arbeitszeit wollen sie bezahlt haben, welche Schweinerei!. Nachts um 3:00 Uhr muss der Kunde in Volksdorf jederzeit und zügig ein Taxi bekommen (Huber, Verkehrsgewerbeaufsicht BSU). Der Servicegedanke ist wichtig, Schild um den Hals. Steuer- und Abgabenhinterzieher werden zu Helden (Kruse in einem Ranking der wichtigsten Hamburger der BILD-Hamburg an 60. Stelle von 100). OK, damals war die Steuersache noch nicht publik, aber die HASPA-Geschichte mit Krediterschleichung wo J.K. Aufsichtsratvorsitzender von 211 211 war. Hauptsache er war ein Verfechter des „kostenlosen Qualitätsgedanken“ und man konnte auf die übrigen „Taxenpiraten“ draufhauen.

Die BSU vergab über Jahre –zig und hundertfach Konzessionen an Kriminelle (Unternehmer S. etc.). Unternehmer und Schwarzarbeiter/Sozialbetrüger machten sich immer breiter, bei den einen mit Schild und Qualität, bei den anderen in Form primitiver Piraterie. Der Kunde wurde zur Beute, Schlagzeilen waren garantiert. Tourenzuwachs bei 211 211.

Flughafen 2006. Taxifahrer wollen keine Qualität. Taxifahrer sind unorganisiert. Taxifahrer sind frech. Die eigentlichen Verursacher, BSU, HK Hamburg etc. sind die Helden welche die Öffentlichkeit beschützen vor den bösen, uneinsichtigen, frechen, abgezockten Taxifahrer. Das sie uns die sch*** erst eingebrockt haben, davon kein Wort.


Ich kenne das Gewerbe seit über 20 Jahren. Es gibt ein Taxi-bashing hier in Hamburg. Die vor allem von der Springerpresse erzeugte (Quasimonopol: BILD in Rot für die Doofen, ABENDBLATT in Grün für die Halbdoofen, WELT in blau für die Halbdoofen mit intellektuellem Anspruch) öffentliche Meinung über das Taxengewerbe ist im Keller, tiefer geht es nicht. Jeder Penner ist mehr als ein Hamburger Taxenunternehmer. Springer, HK Hamburg, Verwaltung, Politik, ein Interesse, ein Ziel, direkt oder indirekt, strategisch oder aus Dummheit. Wenn auf Dauer ein Gewerbe so verheizt wird ohne Zusammenhänge aufzuzeigen, dann schlägt das irgendwann auch auf die Ebene Verhältnis Bevölkerung-Kunde-Taxifahrer durch. Dann ist der Taxifahrer nicht mehr Dienstleister dem man Respekt entgegenbringt wie anderen Gewerbetreibenden auch, sondern er ist ein Wesen mit Sklavencharakter. Die Hemmschwellen sinken. Eingebunden in das allgemeine Sinken von Hemmschwellen nochmals tiefer die Hemmschwellen gegenüber Taxifahrer. Mit Kutschern kannst Du alles machen. Taxifahrer sind Nutten mit E-Klasse, die kannst du ducken, die kannst du ausrauben, und im allerletzten Schritt mit Waffen bedrohen.

Es gibt gegenüber einem Kutscher kein schlechtes Gewissen mehr, dem kannst während der Fahrt am Radio drehen, von dem kannst du erwarten dass er verboten wendet um Kundenmäuse zu sparen, von dem kannst du erwarten dass er mit 80 Sachen durch die Stadt brettert weil der Flieger geht, dem kannst Du ins Auto pinkeln, dem kannst du ins Auto kotzen, mit dem kannst du alles machen. Kostenlos natürlich. Halt die Klappe Kutscher und mach den sch*** weg. Schlechtes Gewissen? Wieso? Ist doch ein Taxi!

Auch wenn es nicht beweisbar ist, ich sehe die sich häufenden Übergriffe auf Taxifahrer, im Fall pl mit Todesfolge, in einem übergreifenden gesellschaftlichen und politischen Kontext, verstärkt durch strategische Meinungsbildner wie Springerpresse und im Hintergrund HK Hamburg etc.


Was hat das mit unserem Kollegen pl zu tun? Alles. pl war ein Kollege von uns. Ob er, Du oder ich, wir haben einen harten Job. Wir (und pl auch) sind (waren) 250 bis 350 Std./Monat unterwegs. Wir verdienen nichts. Er hat zur Untermiete bei einer Rentnerin gewohnt, ich schäme mich manchmal wenn ich mein Haushaltsgeld bei meiner Frau abgebe, wie ist es bei Euch? Wenn wir am Flieger stehen und warten (oder anderswo) dann vertrödeln wir unser Zeit mit „Schach spielen“ (so aus Spaß, ja?), Arbeit ist das nicht. Warten auf den nächsten Kunden ist doch keine Arbeit. Dirk Ritter, BSU Hamburg, vor einem Ausschuss der Hamburger Bürgerschaft. Bei der AOK, pl war auch selbsständig, wirst du eingestuft mit ca. 1.900.- € Nettoertrag vor Steuern, auch wenn du nur 1.100.- € Nettoertrag hast. Dann zahlst du auf 1.900.- € 15%, macht effektiv 25 –30% Krankenkassenbeitrag auf den Nettoertrag, ohne Anspruch auf Krankengeld. Jeden Tag am Abgrund. Rentenversicherung? Asche! Vielleicht reicht es für einem guten Hamburger Taxifahrer wie pl, Du und ich wirklich nur noch zur Untermiete bei einer Rentnerin.

Unser Gewerbe hier in Hamburg, wir, und pl war einer von uns, wird öffentlich-rechtlich ausgebeutet und ausgepresst wie eine Zitrone. Wir, und pl auch, wir arbeiten hart, wir arbeiten lange, wir ertragen viel, wir verdienen wenig, wir sind trotzdem meistens freundlich und nett, pl 100% sicher, und müssen uns überfallen und im Extremfall abmurksen lassen. Wir müssen uns in die Pfanne hauen lassen für Dinge für die gut bezahlte Leute mit Pensionsansprüchen die Verantwortung tragen.

Wir sind es pl irgendwie schuldig dass man irgendwann sagt, Peter Lüchow war ein guter und ehrbarer Hamburger Taxenunternehmer. Und das mit Respekt. Nicht irgendein Taxifahrer, ein Kutscher, einer von denen die immer Scheisse bauen. Der Dienstleistungsabschaum der Hamburger Gesellschaft.

pl wird posthum nur die Ehre bekommen die er verdient wie jeder rechtschaffene Bürger wenn wir in der Lage sind diese Ehre herzustellen. Wenn nicht, ist er der Taxifahrer der von einem Verrückten wegen ein paar € (?) abgemurkst wurde. Der Verrückte wurde ermittelt, verurteilt, dem Gesetz Genüge getan, aus und Schluss. Weiter so.

Wenn nicht, dann schenken wir uns unser Beileid, unsere Spendenaufrufe, unser „Hängt den Mörder“. Dann sind wir alle hauptberuflich Dienstleistungsabschaum und nebenberuflich „Vielschreiber“ die genau das bekommen was sie verdienen. Peter Lüchow hat es nicht verdient, er hat nur irgendwann aufgegeben, warum auch immer. Wir leben noch.


Eberhard

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Beitrag von Taxi Georg » 16.01.2010, 19:18

Schön geschrieben, Eberhard!
Bitte betrachtet meine Postings nicht als Verpflichtung, sondern nur als gutgemeinte Hinweise!
Diese Hinweise sollen auch keine Rechts-/Steuerberatung darstellen oder sollen diese ersetzen. ☑

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Beitrag von Grossraum » 16.01.2010, 19:22

Nabend zusammen........

DEM IST NICHTS MEHR HINZUZUFÜGEN !!!!!!

DANKE E. G. Engel

Gruß und Gute Fahrt
Wolfgang

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Re: Peter Lüchow, + 15.01.2010, einer von uns.

Beitrag von Tipp » 16.01.2010, 19:29

E. G. Engel hat geschrieben:Wir müssen uns in die Pfanne hauen lassen für Dinge für die gut bezahlte Leute mit Pensionsansprüchen die Verantwortung tragen.
Das ist der Punkt!


T.
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Beitrag von reasoner » 16.01.2010, 19:59

Sehr geehrter Herr Engel,

bevor ich Ihnen inhaltlich den verdienten Respekt zolle, ist es mir wichtig, auf folgendes hinzuweisen.
Napp, drüben hat geschrieben:Außerdem möchte ich dazu aufrufen,
daß ALLE Hamburger Taxifahrer zu seiner Beerdigung kommen, und wir diesen Tag gleichzeitig zu einer machtvollen Demonstration nutzen, um endlich auf all unsere Probleme geschlossen hinzuweisen!
Auch wenn Sie den soziologischen Aspekt im Zusammenhang mit der schrecklichen Tat ausgezeichnet hergeleitet haben, sollte ein klerikaler Moment einer Beerdigung nicht dazu missbraucht werden, lautstark Missstände anzuprangern. Um nichts anderes geht es Herrn Napp, und um nichts anderes geht es mir.

Das Leben muss für alle weitergehen, und es wird weitergehen. Es gibt eine Zeit des Innehaltens, und eine Zeit, die für zivilen Ungehorsam reift.

Ich werde aus gegebenem Anlass etwas tun, was ich eigentlich nie tue. Ich trenne gerne das Geschäft vom Privaten, auch wenn es nicht immer geht. Gestern beim Abendtisch sagte ich zu meiner Frau (Taxifahrerin), nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Mord an Peter Lüchow: „Das Gewerbe ist an die Wand gefahren. Man müsste noch einmal von vorne beginnen können, es ist nicht mehr zu retten.“

Inhaltlich habe ich Ihren Ausführungen nur noch hinzuzufügen, dass im Gewerbe viel zu viele Häuptlinge lamentieren, und viel zu wenige Indianer kämpfen, wenn sie gebraucht werden.

Sie haben Recht. In den 60er Jahren, als mein Vater begann, Taxi zu fahren, hatte der Fahrgast Respekt vor der Karosse und vor dem Fahrer. Einigen, die meinten, sie könnten sich darüber hinwegsetzen, wurde der Respekt gewerbeintern eingebleut. Heutzutage drohen wir auf einer nach unten offenen Sozialskala den letzten Platz einzunehmen. Ausnahmen, und diese lesen dieses Forum, bestätigen die Regel.

Ich wünschte mir ebenfalls, dass man sich in 20 Jahren mit Respekt und Anstand an pl erinnert, und nicht mit Gleichgültigkeit und Geringschätzung.

rea

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Beitrag von Martin B. » 16.01.2010, 20:06

Trotz Deiner teilweise richtigen Argumente stimme ich rea nach wie vor voll zu.

pl war ganz offensichtlich ein ruhiger, stiller Kollege und so sollten wir uns von ihm verabschieden.

Wir sollten auch Rücksicht auf Angehörige und Verwandte nehmen.

Auf keinen Fall sollte die Beerdigung von irgendjemanden irgenwie instrumentalisiert werden.

Das wäre pietälos!

Im Augenblick sollten wir uns sogar mit jeder Beurteilung des tragischen Falls zurückhalten, weil wir schlicht nichts Genaues wissen, denn vielleicht wurde pl ganz einfach nur Opfer des Restrisikos, das unser Job auch unter wesentlich besseren Rahmenbedingungen und bei deutlich besserem Image mit sich bringen würde.

Wir sollten daher still und würdevoll von ihm Abschied nehmen, jeder für sich oder auch gemeinsam, wenn die Hinterbliebenen damit einverstanden sind.
Martin Berndt

Filou
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Beitrag von Filou » 16.01.2010, 20:42

Martin B. hat geschrieben:Wir sollten daher still und würdevoll von ihm Abschied nehmen, jeder für sich oder auch gemeinsam, wenn die Hinterbliebenen damit einverstanden sind.
Aber ich finde, wenn jemand reden muß, dann sollte er dies tun. Und dieses Medium soll uns doch helfen mit dem Erlebten umzugehen und es zu verarbeiten. Und wir ticken in solchen Situationen alle verschieden und haben in unserer Branche auch unterschiedliche kulturelle Hintergründe, die damit anders umgehen.

Ich denke jeder der schreiben muß oder will, sollte dies tun, und jeder der sich zu irgendetwas animiert fühlt, kann dies auch aussprechen.

Persönlich denk ich, die Beerdigung geht nur die Hinterbliebenden etwas an, sie entscheiden was passiert und wir respektieren daß.

Ich kann aber alle Kutscher verstehen, die in Gemeinschaft etwas unternehmen wollen, denn das Leben geht für uns weiter und manchmal muß man ebend etwas tun.

FILOU

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Beitrag von E. G. Engel » 16.01.2010, 21:01

Ich möchte im Moment nicht wirklich diskutieren sondern nur feststellen dass auch mir der „klerikale Aspekt“ heilig ist und ich nicht im Traum daran denke die Beisetzung zu instrumentalisieren. Das versteht sich von selbst.

Ansonsten möchte ich mir etwas Zeit geben bevor ich, wenn überhaupt, auf inhaltliche Argumente eingehe. Das ist keine Geringschätzung Ihrer Person oder ihrer Ausführungen, Kollege rea.

Mit kollegialen Grüßen

Eberhard

Graupen Fan
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Beitrag von Graupen Fan » 16.01.2010, 23:48

reasoner hat geschrieben:Sehr geehrter Herr Engel,

bevor ich Ihnen inhaltlich den verdienten Respekt zolle, ist es mir wichtig, auf folgendes hinzuweisen.
Napp, drüben hat geschrieben:Außerdem möchte ich dazu aufrufen,
daß ALLE Hamburger Taxifahrer zu seiner Beerdigung kommen, und wir diesen Tag gleichzeitig zu einer machtvollen Demonstration nutzen, um endlich auf all unsere Probleme geschlossen hinzuweisen!
Auch wenn Sie den soziologischen Aspekt im Zusammenhang mit der schrecklichen Tat ausgezeichnet hergeleitet haben, sollte ein klerikaler Moment einer Beerdigung nicht dazu missbraucht werden, lautstark Missstände anzuprangern. Um nichts anderes geht es Herrn Napp, und um nichts anderes geht es mir.

Das Leben muss für alle weitergehen, und es wird weitergehen. Es gibt eine Zeit des Innehaltens, und eine Zeit, die für zivilen Ungehorsam reift.

Ich werde aus gegebenem Anlass etwas tun, was ich eigentlich nie tue. Ich trenne gerne das Geschäft vom Privaten, auch wenn es nicht immer geht. Gestern beim Abendtisch sagte ich zu meiner Frau (Taxifahrerin), nicht unbedingt im Zusammenhang mit dem Mord an Peter Lüchow: „Das Gewerbe ist an die Wand gefahren. Man müsste noch einmal von vorne beginnen können, es ist nicht mehr zu retten.“

Inhaltlich habe ich Ihren Ausführungen nur noch hinzuzufügen, dass im Gewerbe viel zu viele Häuptlinge lamentieren, und viel zu wenige Indianer kämpfen, wenn sie gebraucht werden.

Sie haben Recht. In den 60er Jahren, als mein Vater begann, Taxi zu fahren, hatte der Fahrgast Respekt vor der Karosse und vor dem Fahrer. Einigen, die meinten, sie könnten sich darüber hinwegsetzen, wurde der Respekt gewerbeintern eingebleut. Heutzutage drohen wir auf einer nach unten offenen Sozialskala den letzten Platz einzunehmen. Ausnahmen, und diese lesen dieses Forum, bestätigen die Regel.

Ich wünschte mir ebenfalls, dass man sich in 20 Jahren mit Respekt und Anstand an pl erinnert, und nicht mit Gleichgültigkeit und Geringschätzung.

rea
Ich schließe mich vollumfänglich den obigen Ausführungen an.
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vernünftig bleiben

Beitrag von CPL5938 » 17.01.2010, 00:07

Martin B. hat geschrieben: Im Augenblick sollten wir uns sogar mit jeder Beurteilung des tragischen Falls zurückhalten, weil wir schlicht nichts Genaues wissen
Genau warten wir ab, bis der Fall gelöst ist. Möglich, dass sich dann keiner mehr daran erinnert, auch möglich, dass es dann auch keinen mehr interessiert, aber wenigstens können wir uns zugute halten, dass wir vernünftig waren.

Eberhard hat Recht, es geht nicht darum aus dem Mord an Peter Lüchow irgendein "Kapital" zu schlagen oder sich zu erlauben für einen guten Zweck ausnahmsweise mal pietätlos zu sein. Es geht darum, dass pl genauso wie wir unter diesen Bedingungen gearbeitet hat und dass solche Bedingungen möglicherweise auch etwas mit seinem Tod zu tun hatten, so, wie sie mit unserem Leben zu tun haben.

Eberhard hat ja Recht. Die Phänomene, die er beschreibt, sind doch keine Phantasie oder das "Gejammer", das neuerdings unterstellt wird, wenn jemand aufmuckt, diese Phänomene existieren. Einige Leute behandeln uns wie "Nutten". Das Bashing von Taxifahrern ist in Mode. Wir könnten den Leuten nach der Fahrt noch die Schuhe putzen und es hieße immer noch, wir wären schlechte Dienstleister. Das alles ist Ausdruck der Zeit und deshalb wird es von alleine nur schlechter, nicht besser.

Wo ist die "Hausordnung" an die sich unsere Fahrgäste zu halten haben, wenn sie einsteigen?
Wo ist der rechtliche Schutz von uns Fahrern, wenn wir auf die verbalen, "spaßigen" oder handgreiflichen Übergriffe mancher Fahrgäste reagieren müssen, während wir uns im Straßenverkehr bewegen!?
Wo ist die Videoüberwachung in unseren Wagen?

Keine Glasflaschen auf dem Kietz, aber in der Taxe darf ich mich entweder jedes Mal ablabern, oder es erdulden?

Ich will nicht darüber diskutieren müssen, dass meine Taxe keine Disco ist, ich will das Recht haben Musik zu verweigern.
Ich will das Recht haben mich nicht unterhalten zu müssen (obwohl ich es persönlich gerne tue).
Ich will das Recht haben Konsequenzen zu ziehen, wenn sich Fahrgäste nicht an die Hausordnung halten und ich will bei einem Streit darüber nicht automatisch unterlegen sein, nur weil ich allein bin.
Ich will eine echte Chance, dass nach einen Überfall auf mich der Täter gefasst wird und ich will, dass jedem das klar ist.

Wenn wir Respekt wollen, dann müssen wir ihn uns verschaffen. Respekt wird uns nicht gegeben werden.

Martin B.
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Beitrag von Martin B. » 17.01.2010, 02:03

Ich mach jetzt ganz schnell mein Testament. Da steht dann klar drin, wer auf meiner Beerdigung nicht reden darf!
Martin Berndt

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Beitrag von Thomas-Michael Blinten » 17.01.2010, 02:49

Wir könnten den Leuten nach der Fahrt noch die Schuhe putzen und es hieße immer noch, wir wären schlechte Dienstleister.
Das gehört bei dir zur "Dienstleistung Taxifahren" :shock:
Bei mir nicht.
Wo ist die "Hausordnung" an die sich unsere Fahrgäste zu halten haben, wenn sie einsteigen?
Die Hausordnung mache ich und wer sich nicht daran hält fliegt raus.
Ich will nicht darüber diskutieren müssen, dass meine Taxe keine Disco ist, ich will das Recht haben Musik zu verweigern.
Ich will das Recht haben mich nicht unterhalten zu müssen (obwohl ich es persönlich gerne tue).
Ich will das Recht haben Konsequenzen zu ziehen, wenn sich Fahrgäste nicht an die Hausordnung halten und ich will bei einem Streit darüber nicht automatisch unterlegen sein, nur weil ich allein bin.
Dies alles ist schon Realität, man muß es nur machen.
Der Kollege ist nicht irgendwelchen Ungerechtigkeiten unseres Berufes zum Opfer gefallen sondern einem kranken Hirn, genau wie die Kinder des letzten Jahres oder auch die anderen getöteten.
Dies ist in unserer Gesellschaft begründet, nicht im Beruf.

Nichts desto trotz bin ich ein Verfechter der Videoüberwachung (nicht nur im Taxi ! ), so wird es leichter die Täter zu finden und die Abschreckung ist nicht zu unterschätzen.
„Alle sind irre, aber wer seinen Wahn zu analysieren versteht wird Philosoph genannt" (Ambrose Bierce)

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Beitrag von Holzy » 17.01.2010, 03:24

Ich hätte auch nichts gegen den Genetischer Fingerabdruck

Das würde im Konkreten Fall (denke ich) nicht helfen.
Aber für die Zukunft könnte das etwas mehr die Moral der Gesellschaft, gerade der Verbrecher Gesellschaft verändern.

Ich denke.
Wie wir alle miteinander umgehen (nicht hier, nicht jetzt) ist doch das Grundübel.

unter andern,
Kranken Filme und Serien etc, wo tot bzw töten zum normalen umgang dargestellt werden.
Wenn mir was nicht passt, dann knall ich ihm weg.
So oder so ähnlich, macht es doch für einige kranke den Anscheint, das tot bzw. töten normal ist.

Oft sind wir alle (nicht hier, nicht jetzt, nicht im konkreten fall ) auch plegmatisch.
Vieles was uns anscheint nicht betrifft.
Schauen wir kurz auf und grasen weiter.

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Beitrag von CPL5938 » 17.01.2010, 04:11

Thomas-Michael Blinten hat geschrieben: Das gehört bei dir zur "Dienstleistung Taxifahren" :shock:
Bei mir nicht.
Den Konjunktiv habe ich benutzt, um die Überspitzung besser gegen die Realität abzusetzen.
Die Hausordnung mache ich und wer sich nicht daran hält fliegt raus.
Mir schwebt da etwas vor, das allgemeinverbindlicher ist als das Wort Deines Gesetz das in Deiner Taxe herrscht. Ich meine eine Ordnung, die von legitimierter Seite kommt und in allen Taxen gilt. Ist ja auch irgendwie der Sinn von Gesetzen, das nicht jeder sein Interesse ständig selbst durchkämpft. Wenn so ein Gesetz dann auch noch jedem, den es betrifft, bekannt gemacht wird, dann überschreiten viele es auch gar nicht erst. Erkennst Du den Vorteil einer solchen Konstruktion?
Dies alles ist schon Realität,
Klär mich bitte auf, wo steht das?
genau wie die Kinder des letzten Jahres oder auch die anderen getöteten.
Welche Kinder, welche Anderen? Wovon redest Du und was hat es mit dem Thema zu tun?

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Beitrag von CPL5938 » 17.01.2010, 04:17

Holzy hat geschrieben:Schauen wir kurz auf und grasen weiter.
Die Konsequenzen aus dieser Alternative hat Eberhard in seinem Beitrag sehr schön ausgedrückt. Vielleicht magst Du Dir in seinem Text die Stelle mit dem "Dienstleistungsabschaum" noch mal durchlesen.

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Beitrag von CPL5938 » 17.01.2010, 04:19

Martin B. hat geschrieben:Ich mach jetzt ganz schnell mein Testament. Da steht dann klar drin, wer auf meiner Beerdigung nicht reden darf!
Ich hoffe, dass das noch lange nicht der Fall sein wird, aber wenn es soweit ist, soll einfach jemand den Motor laufen lassen.

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Beitrag von amebabrainobserver » 17.01.2010, 05:34

Eine Hinrichtung als Folge mangelnden Respekts vor dem Dienstleister: Erst drehen sie dir das Radio lauter und schwups, schon hast du ein Loch im Kopf.

Was ist das eigentlich für eine abstruse Diskussion? Hier wird geschmackloserweise ein tragisches Ereignis zum Abbau eigener Frustration missbraucht. Eine schlechtere Basis für die überfällige Debatte über unseren sozialen Abstieg kann ich mir kaum vorstellen.

Es ist nichts über die Hintergründe des Mordes geklärt, aber Jörn Napp möchte eine Demo veranstalten! Es muss ja auch mal klar gemacht werden, dass wir Mord echt gemein finden. Der Junkie oder die Russenmafia werden schwer beeindruckt sein.

Interessant finde ich auch, wie locker hier die "hängt ihn an den Eiern auf" Sprüche fallen und wie schleppend, im Gegensatz dazu, die Kollegenhilfe bei realen Notfällen kommt. Ich kenne - auch aus eigener Erfahrung - etliche Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit, in denen zahlreiche Kollegen keinen Finger gekrümmt haben, um zu Helfen.

Die wilde Schaumschlägerei finde ich, vor dem Hintergrund des traurigen Ereignisses, völlig unangemessen.

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Beitrag von Thomas-Michael Blinten » 17.01.2010, 05:42

Wenn so ein Gesetz dann auch noch jedem, den es betrifft, bekannt gemacht wird, dann überschreiten viele es auch gar nicht erst. Erkennst Du den Vorteil einer solchen Konstruktion?
Sicher, ich erkenne auch den Sinn in einer Verordnung über die Krümmung von Gurken im EU Bereich.
Sorry, aber diese Verhaltensweisen gelten in jeder Straßenbahn, in jedem Bus, jeder Kneipe und auch im Taxi ohne proklamiert werden zu müssen.
Wenn es Fahrer nicht stört das in ihrem Taxi getrunken wird dann kann dort getrunken werden.
Wer es nicht möchte untersagt es.
In wie vielen Taxis wird noch geraucht obwohl es verboten ist ?!
Wir reden überall davon das sich der Staat nicht in unsere Angelegenheiten mischen soll (Rauchen z.B.) aber hier rufst Du nach Vertordnungen die an dem was pl passiert ist gar nichts geändert hätten.
Welche Kinder, welche Anderen? Wovon redest Du und was hat es mit dem Thema zu tun?
Ist pl das einzige Mordopfer gewesen dieses Jahr :?:
Gelten nur Taxifahrer als Opfer :?:
Wo ist deiner Meinung nach der Unterschied zwischen einem Mord aus Habgier, Zorn, Mißbrauch oder anderen ebenso niederen Beweggründen ?
Noch einmal zum Mitschreiben: Dieser Mord ist nicht Berufsspezifisch sondern Gesellschaftspezifisch.
Durch neue Verordnungen kann man sie nicht vermeiden, das wäre unützer Aktionismus.

@ amebabrainobserver

Nicht immer bin ich einer Meinung mit dir, hier aber zu 100 %
„Alle sind irre, aber wer seinen Wahn zu analysieren versteht wird Philosoph genannt" (Ambrose Bierce)

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Beitrag von Holzy » 17.01.2010, 06:31

Thomas-Michael Blinten hat geschrieben:
Ist pl das einzige Mordopfer gewesen dieses Jahr :?:
Gelten nur Taxifahrer als Opfer :?:
Wo ist deiner Meinung nach der Unterschied zwischen einem Mord aus Habgier, Zorn, Mißbrauch oder anderen ebenso niederen Beweggründen ?
Noch einmal zum Mitschreiben: Dieser Mord ist nicht Berufsspezifisch sondern Gesellschaftspezifisch.
Ich habe hier mal die klick :arrow: Bundeskriminalamt Polizeiliche Kriminalstatistik 2008

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Beitrag von classictaxi » 17.01.2010, 07:43

Danke Eberhard,
für diese Zeilen.

Es ist genau auf dem Punkt gebracht.
Es heißt "Zeit ist Geld". Zeit ist nicht Geld, Zeit ist die Abwesenheit von Geld. Aber Heute haben wir Geld. Alles ist aus dem Gleichgewicht.

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