[Literatur] Ein Taxiblues

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[Literatur] Ein Taxiblues

Beitrag von am » 19.10.2012, 00:11

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Schröder, der sich selbst als fröhlichen Melancholiker sieht, treibt die Sehnsucht um. Die Sehnsucht nach dem ultimativem Telefonanruf, der ihn seiner Obsession - dem ultimativen Flirt - als dem Gipfel seines Daseins auf Haaresbreite nahe bringt. Oder geht es am Ende doch wieder nur um das Eine, alles Bestimmende?
Darüber lässt der Autor den Leser lange im Ungewissen, führt ihn dafür auf dem Weg zur Auflösung durch die Niederungen menschlicher Abgründe, so möchte man beinahe sagen, einer Lübecker Taxizentrale. Denn Schröder sitzt am Funk einer Taxivermittlung, was diesen Roman erfreulich abhebt von den vielen Taxibüchern, die wir alle schon gelesen haben.
Der Leser erhält einen Einblick in die Strukturiertheit vieler "Taxifürsten", an denen es scheinbar in keiner Taxizentrale einen Weg vorbei gibt, scheinbar...

Der Autor, Andreas Richter, beschreibt seinen Protagonisten nicht ganz ohne autobiographische Züge. Richter, seit 23 Jahren "Dispatcher" in einer Lübecker Taxizentrale, mithin beinahe Urgestein der Lübecker Taxifunker, ist studierter Theologe, Bücherwurm und sportlich ambitionierter Schachspieler, was man dem Buch auch anmerkt.
Die Arbeitsrechtler unter den Forumsusern dürfte interessieren und bei der Lektüre auch amüsieren, dass Richter hier in süffisanter Art das Thema Betriebsratsarbeit in Taxizentralen aufgreift, was nicht von ungefähr kommt.

Lübecker Gewerbeinsider werden hinter der ein oder anderen Figur einen realen Gegenpart wähnen, was natürlich reiner Zufall wäre und sich den ein oder anderen Schmunzler nicht verkneifen können.

Aussenstehende lesen Taxi mal anders, eben nicht aus dem Taxi heraus, sondern durch das Funkgerät des Zentralenmitarbeiters, wenn da am Ende nicht doch wieder alles anders käme.


Bild
Schröders Arbeitsplatz befand sich im
Obergeschoss eines zweistöckigen Gebäudes
in der Nähe des städtischen Bahnhofes.
Wenn man aus dem Fenster sah, schaute man
auf eine Überdachung, unter der sich vor Jahren
eine Zapfsäule für Diesel befunden hatte.
Die Zapfsäule war längst verschwunden,
der stets rauchende Tankwart – warum auch nicht,
Diesel brennt ja nicht – inzwischen zur Legende geworden.
Das Dach stand immer noch und diente hauptsächlich
zwei Zwecken: erstens, ein paar Parkplätzen Schutz vor
Regen zu bieten, und zweitens einen metallischen
Klang abzugeben, wenn ein von Schröder oder Karla
abgeschossener Sektkorken auf ihm niederging.
Als Schröder vor zwölf Jahren hier anfing, hatte man
außerdem auch einen Gutteil der Stadtsilhouette sehen können.
Eines Tages jedoch hatte man vor diese Silhouette
Kräne gestellt, und an diesen Kränen wuchs ein Haus empor,
ein einziges, riesiges Gebäude, runde hundert Meter entfernt,
das langsam, aber stetig die Stadt verschwinden ließ
– als wäre sie untergegangen in einem gefluteten Stausee,
hatten zuletzt noch die Kirchturmspitzen hervorgelugt.





Erschienen ist das Buch im Verlag auf der Warft ISBN 978-3-939211-47-1


Sollte jemand Interesse an einer vom Autoren signierten Ausgabe haben, bitte per PN an mich wenden.
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scarda
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Beitrag von scarda » 19.10.2012, 00:31

Ich hätte gedacht, dass das Dach drittens als Unterstand für Raucherpausen bei Schlechtwetter dient...

Scheint aber wirklich mal ein anderer Taxiroman zu sein. Die Leidensgeschichten paranoider Lenker sind ja kaum noch erträglich. Immer zu reisen sie irgendwo und willenlos hin und haben Schmerzen dabei...

Wenn der Roman soviel Lübeck hat, dann schlage ich eine nobelpreisverdächtige andere lübecker Tradition aufzugereifen:

Zu den "Buddenbrooks" soll es damals "unter der Tecke" eine Liste der "Klarnamen" des Romans gegeben haben, die hoch gehandelt wurde. Die High Nority der Hansestadt an der Trave soll not amused gewesen sein...

In den heutigen Zeiten der Gesellschaft des Spektakels, bis in den letzten Winkel gelddurchdrungen, sicher auch ein verkaufsfördernder Effekt...

Hast Du schon gehört, der Aufschneider, das is in wahr der Grünlich... Ach, echt...? *)


-------------
*) Bendix Grünlich (= Ernst Elsfeld) ist der Aufschneider aus den Buddenbrooks, Grünlich ist hamburger Kaufmann, ein Versager vor dem Herren, ein Pleite jagt die andere... Tonys Ex (= Elisabeth Mann)
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Beitrag von am » 19.10.2012, 00:37

Ich kann Dir versprechen, eine solche Liste gibt es zu diesem Roman nicht, zumindest in einem Fall wäre die auch vollkommen überflüssig...
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scarda
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Beitrag von scarda » 19.10.2012, 01:03

am hat geschrieben:Ich kann Dir versprechen, eine solche Liste gibt es zu diesem Roman nicht, zumindest in einem Fall wäre die auch vollkommen überflüssig...
Auch wir hier im tiefen Süden wollen mittratschen! :lol: :oops: 8)
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