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von Jochen Lembke » 20.12.2010, 12:05
Der Dude lebt! In Zürich!
Also, treff ich den dude, das war so: Ich werde in eine Apotheke geschickt zum etwas abholen für einen "Andi" (Name erfunden). Ich sei also das Taxi und wie sei der Name fragen die mich, sag ich, ich hab den ganzen Namen nicht, nur einen Andi. (Was ja darauf schliessen lässt, dass es sich um einen Kollegen handelt). Okay, sagen sie, geben mir ein kleines Tütchen, bring ich das ein paar Strassen weiter, zu der Adresse. Da schreibt gerade die Politesse auf, ob ich denn kurz abstellen darf, ja, kein Problem, ich sei ja Anliefern. An der Adresse steht kein Namensschild. Super, ich geh zurück, der Auftrag ist aber schon weg auf dem Display, da ich die Uhr ausgeschaltet hab. Super. Ich fluch, wohl so laut, dass man mich bemerkt, es steht also jemand oben am Fenster. Geh ich hin, da stöhnt der irgendwie so komisch und zuckt so rum, holt der sich gerade einen runter, am offenen Fenster? Ich mach unwillkürlich einen Schritt zurück. Nein, es ist der Kunde und er hebt schliesslich etwas in der Hand, etwas Riesiges, nein, nicht sein Ding, sondern einen Schlüsselbund. Er macht Anstalten ihn runterzuwerfen und brabbelt dazu etwas auf Schwiizerdütsch, was aber wegen dem Hintergrundlärm leider völlig unverständlich ist. Bevor ich noch rufen kann, er soll den Bund nicht runterwerfen, das wird ganz schön wehtun beim Auffangen und wenn er auf den Boden fällt, dann bricht sicher irgendwas, hat er den Bund schon geworfen und ich muss ihn auffangen. Es tut weh. Ich soll also die Haustüre aufschliessen, nun solche Aktionen kenne ich, ich bin schon mit einem Schlüsselbund geschickt worden, weil sich einer eingeschlossen hatte und musste den befreien. Ich such den richtigen Schlüssel, mir wird klar, das Unverständlich-auf-Schwiizerdütsch-Gebrabbelte war die Erklärung welcher Schlüssel wo schliesst. Meine lange praktische Erfahrung mit vielen Dingen dieser Welt lässt mich das Schloss dann aber auf Anhieb öffnen. Ich geh hoch, wo wohnt er nun? Na, er hat ja sicher die Wohnungstür offen. Im Erdgeschoss ist ein Puff, das ist er sicher nicht. Im ersten Stock ist nix offen. Soll ich denn auch noch die Wohnungstür aufschliessen? Wo ist er denn nun, keine Namensschilder, kein nix, ich nehme also einen Schlüssel und probiere aufzuschliessen. Was ist denn nun, wenn ich die falsche Wohnung aufschliesse? Nein, geht ja nicht, der Schlüssel würde nicht passen. Aber es käme nicht gut, wenn ich da an der falschen Türe rumstocher. So gehe ich noch mal runter, mich vergewissern, welcher Stock das ist, ja, es ist der erste. Ich geh also noch mal hoch, da ist er inzwischen an der Türe. Aber sie ist noch zu. Offensichtlich kann er sie nicht von innen öffnen, ich muss es also tatsächlich machen, so viele Schlüssel am Bund, aber auch. Er bruddelt etwas auf Schwiizerdütsch dazu, ich übersetze "der middä Boohrigge" in "der mit den Bohrungen", was es leider aber auch nicht klarer macht, es haben alle Bohrungen, mehr oder weniger. Schließlich krieg ich der Tür auf, steht da der dude! Oder, "Duderofswki" oder "el Duderino". Das heisst, er sieht haargenauso aus, wie Jeff Bridges in der Film "the big Lebowski". Jedenfalls, er steht auf Krücken vor mir, was also der Grund ist, das er mich nicht unten an der Türe empfangen hat und als er sich umdreht, seh ich unter einem gammeligen, zu kurzen, heraushängenden Hemd eine Bandscheiben-OP-Narbe, den Grund also für das unartikulierte Stöhnen am Anfang. Offensichtlich hat er Schmerzen und das ist wohl auch der Grund für diese Medikamentenlieferung. Ich soll ins Zimmer mitkommen, wo er wohl das Geld hat und er humpelt von hinnen, zwischenrein immer wieder unbeherrscht aufschreiend vor Schmerzen. Im Zimmer läuft die Glotze und alles ist versifft und durcheinander. Er lässt sich (schreiend vor Schmerzen) auf dem Bett nieder und wühlt in dem Durcheinander. Ja, sagt er doch noch zwischenrein, trocken und mit leicht ironischen Ton, es würde sich halt doch lohnen Schwiizerdütsch zu lernen, "der middä Boohrigge" hätte er doch gesagt. Ja, sag ich, kein Problem, ich hab das schon verstanden, Bohrungen... und spare mir weiteres. Er sucht weiter, schiebt ein Pornoheft, vom dem hier einige rumliegen, auf die Seite, findet aber kein Geld. Er brabbelt die ganze Zeit etwas auf Schwiizerdütsch, aber der Fernseher läuft und ich bin grad soo müde und versteh kein Wort. Er sorgt sich um seinen Geldbeutel und vor allem natürlich um die ganzen Sozialkarten, die darin seien und die allen dudes dieser Welt ihr Lotterleben finanzieren. Endlich, unter keinem der zur Seite geschobenen Pornoheften und dreckigen Unterhosen findet sich der Geldbeutel, er bedeutet mir eine Vase vom Regal zu holen, da ist jeder Menge kleiner Schotter drin. Er expediert genügend Münzen in meine Hand, weil die seinen so zittern, kein leichtes Unterfangen. Er gibt mir etwas mehr, ob ich ihm beim Abwaschen helfe? Ein Scherz nehme ich an, ich verschwinde - und überlasse den dude sich selbst.
Ich fahre ein paar Meter weiter, wo man besser stehen kann, um den nächsten Auftrag abzuwarten. Ich sehe wie eine Frau einer anderen einen Schlüsselbund ablässt, in einem gehäkelten Beutelchen an einer Schnur. Ich glaub, es ist schon Jahre her, dass ich so etwas das letzte Mal gesehen habe. Es gibt keine Zufälle, denke ich, einmal mehr.