Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

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oleben
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Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von oleben » 18.07.2015, 21:39

Hallo allerseits,

ich beschäftige mich gerade im Rahmen einer schulischen Facharbeit/Hausarbeit damit, welchen Einfluss der gesetzliche Mindestlohn auf die Beschäftigungssituation in der Taxibranche Rhein-Neckar hat.

Ich habe beim Befragen von Taxifahrern viel von "Aufstockern" und "Sozialschmarotzern" gehört. Ich habe aber noch nicht ganz verstanden, wie das jetzt eigentlich funktionieren soll und um was es genau geht.
Soweit ich das verstanden habe, kann man bis zu einem monatlichen Einkommen von €450 noch Hartz 4 bekommen, ist das richtig?
Es gibt da ja sowas mit einem "Freibetrag".
Mir wurde erzählt, dass Taxifahrer auf dem Papier bspw. nur 20 std im Monat fahren, eigentlich aber 120 std. Die Differenz wird dann unter Hand mit dem Unternehmer abgerechnet und in bar abgezahlt.

Könnte mir jemand das Ganze bitte nochmal erkären?

Ich habe noch nicht ganz verstanden, wie viel Geld der Taxifahrer im Monat verdienen darf damit er aufstocken kann.
Und: Wo bestehen da die VOrteile für den Aufstocker versus als "normaler" Angestellter zu fahren?

Vielen Dank für eine Antwort und mit besten Grüßen!

roter stern
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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von roter stern » 19.07.2015, 08:06

Moin oleben
Viel Glück mit deiner immens wichtigen Hausarbeit
zum Thema langsamen ausbluten der unteren Schichten

Hier ein Link zu Klartext e.V.
http://www.klartext-info.de/

Eine Frau die den Mindestlohn bekommt zahlt Lohnsteuer von 75€ im Monat ( Im Jahr 900€)
Lisa Müller hat eine Bruttowarmmiete von 390€ warm
Dank der Lohnsteuerzahlungen die Ihr abgezogen werden vom
kann sie aufstocken und hat einen Anspruch von 41 €

Gruß
roter stern

Wattwurm
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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von Wattwurm » 19.07.2015, 10:35

oleben hat geschrieben:Es gibt da ja sowas mit einem "Freibetrag".
Der Freibetrag beträgt 100 Euro im Monat. Soviel darf man zum HartzIV dazu verdienen ohne das einem die Staatsknete gekürzt wird.
oleben hat geschrieben:Mir wurde erzählt, dass Taxifahrer auf dem Papier bspw. nur 20 std im Monat fahren, eigentlich aber 120 std. Die Differenz wird dann unter Hand mit dem Unternehmer abgerechnet und in bar abgezahlt.
Dieses Geschäftsmodel ist mir lediglich unterschwellig geläufig. Bekannt ist aber das sich viele Taxiunternehmer unter der Hand in bar und ohne Quittung versteht sich von selbst, den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung vom Taxifahrer erstatten lassen. In Lübeck erfreut sich dieses Geschäftsmodel stetig wachsender Beliebtheit, weil diese Sauerei kaum nachweisbar ist, aber auch in Neumünster soll es Einzelfälle geben. Deswegen habe ich vor einiger den Bergriff der "Balkanisierung" des Taxigewerbes kreiert. Griechenland beginnt am Hachmann-Platz, war immer mein Reden. Wir sind keinen Deut besser als die Griechen oder die Kroaten!
oleben hat geschrieben: Ich habe noch nicht ganz verstanden, wie viel Geld der Taxifahrer im Monat verdienen darf damit er aufstocken kann.
Wer weniger als 1200 Euro Brutto im Monat verdient darf über Hartz IV aufstocken. Bei Alleinerziehenden mit einem Kind erhöht sich der Betrag auf 1500 Euro Brutto im Monat.

oleben hat geschrieben: Und: Wo bestehen da die VOrteile für den Aufstocker versus als "normaler" Angestellter zu fahren?


Der "normale" angestellte Taxifahrer verdient bei Einhaltung....bzw. Ausschöpfung... aller arbeitsrechtlichen Vorschriften ungefähr 1600 Euro Brutto im Monat, das entspricht in etwa 1200 Euro Netto. Er hat dann normalerweise keinen Anspruch mehr auf Hartz IV. Viele Taxifahrer sind daher bestrebt von Vollzeit auf Teilzeit zu wechseln, weil die Reduzierung der Stundenzahl nicht nur die Lebensqualität, in Form von mehr Freizeit entscheidend verbessert, sondern weil sich daraus dann auch wieder ein Anspruch auf Hartz IV-Aufstockung ergibt.

Der Vollzeit-Taxifahrer arbeitet ca. 160-180 Stunden im Monat ohne Anspruch aus der HartzIV-Schatulle, der Teilzeit-Taxifahrer arbeitet 100-120 Stunden im Monat mit Anspruch aus der HartzIV-Schatulle und sitzt jeden Tag bei Giovanni im Eiscafe unter den Alsterarkaden, während sein Vollzeitkollege ohne HartzIV-Anspruch sich den A_rsch abbuckelt und sich mit mauligen und übelst gelaunten Fahrgästen abärgern darf.

Auf dem Grabstein des Vollzeitangestellten steht "Er war ein guter Steuerzahler und Staatsbürger" auf dem Grabstein des Teilzeitangestellten steht "Er war ein Sozialschmarotzer"....was auf meinem Grabstein mal stehen wird, ist mir sowas von sche_ißegal das glaubst Du gar nicht. Anläßlich meiner Bestattung werden sich vermutlich 3 oder 4 Fahrzeuge von Thomas-Beton oder Readymix auf dem Friedhofsparkplatz unübersehbar und völlig diskret bereithalten... :D
oleben hat geschrieben:Vielen Dank für eine Antwort und mit besten Grüßen!
Immer wieder gerne.... :mrgreen:

http://www.hartz4hilfthartz4.de/cms/htm ... ommen.html
http://www.refrago.de/Aufstocker_Ab_wan ... ge218.html

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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von sivas » 19.07.2015, 11:10

oleben hat geschrieben:... welchen Einfluss der gesetzliche Mindestlohn auf die Beschäftigungssituation in der Taxibranche Rhein-Neckar hat ...
ganz einfach: GAR KEINEN ! es geht weiter wie bisher.

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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von pauline » 19.07.2015, 13:08

@ oleben
Lass dich nicht kirre machen von den Kommentaren hier.
Es gibt verschiedene Taxiwelten. Du kannst deine Arbeit nicht fundiert beenden, ohne sich mit dem sogenannten "Modell Hamburg" zu beschäftigen. In Hamburg haben wir eine Aufsichtsbehörde, die ihren Namen verdient. das ist der Unterschied zu den meisten anderen Bundesländern, wo die Behörden weiterhin das Modell "LmaA" bevorzugen.
Hamburg zeigt, dass man sehr wohl rechtskonform mit Mindestlohn und ohne Aufstockung zurechtkommen kann. Die Anzahl der Taxen wurde hier stark verringert. Verdachtsfälle werden sorgfältig geprüft und die Konzessionen bei Missbrauch auch entzogen.
Das Taxengewerbe ist in den letzten 15 Jahren geradezu verludert. Nicht zuletzt wegen der Vernachlässigung der Aufsichtspflichten der zuständigen Behörden.
Dass der Sozialstaat ständig in Gefahr ist geplündert zu werden ist ja nichts neues und beileibe nicht beschränkt auf das Taxengewerbe.
Leider werden wir immer als lebendiges Beispiel herangezogen, wenn es um die Mindestlohndebatte geht.
Offensichtlich muss der Taxifahrer / Taxiunternehmer als der Prototyp "Kleiner Mann von der Straße" herhalten.
Nas ja, was soll's.

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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von oleben » 19.07.2015, 15:44

Hallo allerseits,
vielen Dank für eure Antworten!

Das zeigt, wie wahnsinnig hilfreich es ist, jemanden aus dem Geschäft zu fragen wenn man sich mit einem solchen Thema beschäftigt! Mir hat sich das Ganze jetzt deutlich besser erschlossen.

Dann sind also die beiden primären Probleme mit dem Aufstocken:

1. Aufstocken bedeutet für den Arbeitnehmer weniger Stress & weniger Arbeitszeit bei fast gleichem "Einkommen" (wenn wir die Sozialhilfe berücksichtigen) im Vergleich mit einem Taxifahrer, der nicht aufstockt.
2. In einigen Fällen wird das Aufstocken von Arbeitnehmern missbraucht. Diese lassen Aufstocker illegal mehr fahren als auf dem Papier und sparen sich hierdurch Lohnkosten + Sozialabgaben?

Stimmen die beiden Punkte so?

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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von SindSieFrei? » 19.07.2015, 19:44

@ Pauline: Richtig!!! Das wird auch demnächst die erste Erhebung aus den Fiskaltaxameterdaten zeigen, die die Verbände präsentiert bekommen. Plausibilitätskontrollen sind der effektivste Weg zur Reduzierung der (zweifelsohne auch noch vorhandenden) schwarzen Schafe. Leider gibt es immer noch zu wenig Personal für die Kontrollen, so das einige weiter "wurschteln" können wie bisher. Aber es ist sichtbar, das sich langsam die Spreu vom Weizen trennt! Das Arbeitszeitgesetz ist der wirkungsvolle Hebel und nichts anderes!

@Oleben: Schreibe mich gerne per PN an, dann kann ich dir gerne helfen, ein situatives Fundament zu deiner Arbeit aufzubauen. Dein Thema beschränkt sich nämlich nicht um das Aufstocken! Aufstocken ist Firlefanz gegen das, was bundesweit im Gewerbe vorherrscht! :mrgreen:

LG
Dura lex, sed lex.

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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von schleicher » 20.07.2015, 01:03

sivas hat geschrieben:
oleben hat geschrieben:... welchen Einfluss der gesetzliche Mindestlohn auf die Beschäftigungssituation in der Taxibranche Rhein-Neckar hat ...
ganz einfach: GAR KEINEN ! es geht weiter wie bisher.
Genau!
Aber halt, eine winzige Kleinigkeit hat sich doch verändert. Die Beschäftigungssituation, die genau so ist wie vorher, ist jetzt illegal. Durchaus erstaunlich ist dabei die "Zivilcourage" oder Solidarität der EWU gegenüber den MWU. Sie könnten diese ja anzeigen, oder Abmahnungen schicken.

Aber warum ist der Mindestlohn denn denn überhaupt ein Problem?

§39(2) PBefG :

Die Genehmigungsbehörde hat die Beförderungsentgelte insbesondere daraufhin zu prüfen, ob sie unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmers, einer ausreichenden Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals und der notwendigen technischen Entwicklung angemessen sind.


Die Tilgung des "Menschenkapitals" oder auch einfach die wirtschaftlichen Lage erforderte eine Anpassung der Tarife. Dies unterblieb z.B . hier in Augsburg im nötigen Umfang. Anders als in Erfurt. Da gingen allerdings die Fahrgastzahlen deutlich zurück, wie ich gelesen habe. Macht ja aber nichts. Dann müssen sie eben die Tarife nochmal anpassen, um dem Gesetz genüge zu tun. Und zwar zeitnah.

Warum macht das der Taxiunternehmer zu SEINEM Problem ? Warum wehrt er sich nicht?

Das Hamburger Modell: Reduzierung der Taxen. ja schön und gut. Aber solange ein Unternehmer ein Unternehmer ist, muß doch §39(2) PBefG erfüllt sein, oder sehe ich das falsch?

Wer oder was ist nun illegal?

AUFSTOCKEN:

Hier das Rezept zur Umsetzung des ML.

1 .Den ML nehmen. D.h. nur die auf dem Papier stehende Arbeitszeit leisten. (Durchaus in Absprache mit dem "Freund" AG)
2 Folge: Der AG hat mehr Ausgaben als Einnahmen
3. Der AG(!) geht zum Arbeitsamt und läßt sich aufstocken.
4. Damit kommt der AG erstmal 2 oder 3 Monate über die Runden.
5. Die örtliche Presse wird informiert und Unternehmer, die sich nicht daran beteiligen werden mit Abmahnungen bedroht.
6.Folge: Die Behörden werden sich was einfallen lassen müssen.
Zuletzt geändert von schleicher am 20.07.2015, 08:17, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von Poorboy » 20.07.2015, 01:59

schleicher hat geschrieben:

Das Hamburger Modell: Reduzierung der Taxen. ja schön und gut. Aber solange ein Unternehmer ein Unternehmer ist, muß doch §39(2) PBefG erfüllt sein, oder sehe ich das falsch?
Wenn er den Umsatz hat, um Personal rechtskonform zu beschäftigen, kann er viele Taxen auf die Strasse stellen. Sonst eben nicht!!!

Poorboy

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Re: Aufstocken im Taxigewerbe bitte erklären

Beitrag von TWG » 20.07.2015, 03:39

oleben hat geschrieben:Hallo allerseits,

welchen Einfluss der gesetzliche Mindestlohn auf die Beschäftigungssituation in der Taxibranche Rhein-Neckar hat.

Vielen Dank für eine Antwort und mit besten Grüßen!
Hallo,

zu Rhein-Neckar kann ich dir leider nichts sagen.

Hier in Düsseldorf ist es so, das sich die Diskussion mit dem Unternehmer geändert hat!

Früher hat mir mein Unternehmer gesagt: "Warum hast du das Taxi schon um 1:00 Uhr abgestellt, der Tagfahrer kommt doch erst um 6:00 Uhr."
Heute sagt er: "Warum hast du das Taxi erst um 1:00 Uhr abgestellt, wenn du um 22:00 Uhr die letzte Fahrt hattest?"

Mehr als den Mindestlohn hab ich schon immer eingefahren, ich hab aber nie eingesehen, für 10,- € Umsatz mehr noch ein paar Stunden auf der Straße zu bleiben.
Nun ist mein Unternehmer der gleichen Meinung!

Gruß aus Düsseldorf
Thomas (gestern (Sonntag) um 23:30 Uhr die Nachtschicht beendet, letzte Fahrt war um 22:15 Uhr)

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