Lebenslauf eines Möchtegern-Kutschers (Neuauflage)

Der virtuelle Taxitreff.
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Jörn

Lebenslauf eines Möchtegern-Kutschers (Neuauflage)

Beitrag von Jörn » 30.05.2004, 11:42

Da ich gleich eine Fortsetzung zu diesem, am 04.August 2003 im Hamburger Taxiforum erschienenen Artikel von mir, schreiben werde, habe ich ihn, da er immer noch über eine beklemmende Aktualität verfügt, leicht überarbeitet, noch einmal hier ins Forum gesetzt.
Ich bin der Meinung, daß diese Geschichten nicht nur auf die Hamburger Verhätnisse passen, sondern daß man auch in anderen Städten Parallele dazu finden könnte.
Natürlich ist alles nur Ironisch gemeint, aber die Realität ist dabei, diese einzuholen, so daß einem das Lachen manchmal schon im Hals stecken bleiben kann.

Die Fortsetzung „Ein Tag im Leben von Otto Hansi“ folgt auf dem Fuße.
Jörn alias VegaTaxi aus Hamburg

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Sehr geehrte Dame,
sehr geehrter Herr.

Es ist mir nur zu gut bekannt, daß es dieses Jahr bei der Hansa-Funk-Taxi e.G. nur zwei zu besetzende Fahrerstellen gibt, aber 3.675 Bewerbungen dem entgegenstehen. Ich weiß, daß man, um einen dieser Posten zu erlangen, sich einer jahrelangen und aufopferungsreichen Bewährungsprobe unterziehen muß, der ich mich aber nur zu gerne stellen möchte.
Denn es kann und wird niemals ein höheres Lebensziel geben können, als in Ihrem Funk-System aufopferungsvoll und entbehrungsreich dienen zu dürfen.
Damit Sie sich eine kleine Vorstellung über meine Person machen können, die Ihnen sicherlich bei der Vorauswahl (und hoffentlich auch in der Entscheidung) dienlich sein wird, hier nun mein, von Ihnen geforderter Lebenslauf.

Am Tage des Herrn 30.Februar 1945 erblickte ich in unserer herrlichen Heimatstadt Hamburg das Licht der Welt. "Oh, Hammonia! Wie herrlich stehst du da!"
Da meine Eltern dem gutsituierten Bildungsbürgertum entstammten, hatte man für mich eine Karriere als Rechtsanwalt oder Politiker ausersehen, auf die ich schon in jungen Jahren hin erzogen wurde.
Da aber beide auch überaus realistisch denkende Menschen waren, mußte ja auch damit gerechnet werden, daß aus beiden Plänen nichts werden würde.
Es hatte sich bis dato schon über alle Landesgrenzen hinaus herumgesprochen, daß man als Hansa-Taxi-Fahrer (vor allem als Angestellter) viel und gutes Geld verdienen konnte, waren beide zu der Überzeugung gelangt, daß man dem hoffnungsvollen Sprößling durch hervorragendes Training den Weg in dieses Metier offenhalten mußte. Wer kann schon von sich behaupten, derart vorausschauende Eltern zu besitzen!
Im zarten Alter von 2 Monaten nach meiner Kiellegung setzte sich meine Mutter mit mir (ging ja auch nicht anders) im heimischen Salon auf ein bequemes Sofa, legte eine Platte von Bach auf und rezitierte die Funkordnung Ihrer Genossenschaft.
Als ich dann am obengenannten Tage lauthals verkündete, daß ich nun da sei, lächelte meine Mama holdseelig und meinte, obwohl ich die Zusammenhänge natürlich noch nicht so wirklich verstand: "Mein Sohn, wir sind stolz auf dich!"
Selbstverständlich wurde diese Erziehung systematisch fortgesetzt. Neben den großen politischen Theoretikern, wurden mir als Gute-Nacht-Geschichte Paragrafen des Straf-Gesetzbuches vorgelesen, ich aber verlangte immer wieder danach, das Personen-Beförderungsgesetz zu hören, die Straßen-Verkehrsordnung wuchs mir derart ans Herz, daß ich hochrote Ohren bekam, wenn meine Mutter mir deren Paragrafen zärtlich ins Ohr säuselte. Aber den durchschlagensten Erfolg erzielte sie immer wieder damit, die Funk-Betriebs-Ordnung des Hansa-Funkes hervorzuholen, und deren Paragrafen mit Inbrunst zu zitieren.
Welch ein Schauer der Erleuchtung kam über mich, der ich noch nicht einmal laufen konnte.
Mein erstes Wort, das über meine zarten Lippen kam, war nicht 'Mama' oder 'Papa', sondern 'Hansa'!
Meine Eltern erstarrten voller Ehrfurcht, als sie selbiges vernahmen, streichelten mir den Wuschelkopf und verkündeten allen Freunden und Bekannten, daß aus diesem Jungen mal etwas werden würde: Politiker, Rechtsanwalt oder Hansa-Taxi-Fahrer.
Mit drei Jahren wurde ich in die Obhut der Erzieherinnen eines Elite-Kindergartens gegeben, der meine Eltern fast ihre ganzen Ersparnisse kostete.
Dieser förderte in hoch-kreativen Maße das Verkehrsverhalten des hoffnungsvollen Nachwuchses,
indem man den ganzen Tag lang mit kleinen Spielzeug-Autos durch eine Modell-Landschaft fuhr und alle Tricks lernte, die ein guter Autofahrer, mit dem Schwerpunkt 'Taxi' wissen und können mußte. Im Garten dieser Institution gab es einen Verkehrs-Übungsplatz mit Tret-Taxis, wo uns in völlig lebensnah-realistischem Spiel das Verhalten als Hansa-Fahrer beigebracht wurde. Auch illegales Bereitstellen und Kundenklau standen auf dem Programm, denn nur so konnte man es schaffen, sich bis an die Spitze der Elite-Fahrer hochzuboxen.
Nach erfolgreicher Grundschule wurde ich im Christianeum aufgenommen, selbstverständlich im Humanistischen Zug, den ich, ohne es betonen zu müssen, nur mit Bestnoten abschloß.
So besaß ich nach erfolgreichem Abitur nicht nur ein 'Graecum' und ein 'Großes Latinum', was mir, im Falle einer Aufnahme in Ihre Genossenschaft sicherlich den Vorteil bringt, daß ich manchem Doktoranden sicher und kompetent bei seinen Übersetzungen behilflich sein könnte.
Mehrere Auslandsaufenthalte ermöglichten es mir zudem aber auch, sechs europäische Sprachen fließend zu erlernen, die ich dann später noch durch Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Tagalog und Farsi erweiterte. Im Moment lerne ich Türkisch und Arabisch mit etwa 30 Unterdialekten, da man ja, in Zeiten wie diesen, nie weiß, wann man diese Kenntnisse anwenden kann.
Während meiner Schulzeit, wie auch beim anschließenden Studium der Rechtswissenschaften, besuchte ich immer wieder Lehrgänge, die sich mit Politik, Recht und Gesetz befaßten, wobei mir Urteile des Hansa-Schiedsausschusses immer in ihrer unglaublichen Weisheit ein leuchtendes Vorbild waren.
Abitur selbstverständlich mit der Bestnote und einem 'Preis der Deutschen Studienstiftung', die mir ein Studium an dem sündhaft teuren privaten Elite-College in Harvard USA ermöglichte, wo ich die Graduate School als „Master Of Laws“ mit 'Summa Cum Laude' abschloß. Auch meinen Doktor, den ich hier in Hamburg absolvierte machte ich mit obengenannter Note.
Leider verlor ich dann Ihren Funk für eine längere Zeit aus dem Auge und dem Sinn, da ich im diplomatischen Dienst Karriere machte. Allerdings gehörte es zu meinen Hobbies, überall, wo ich stationiert war, mich mit den lokalen Taxi-Geschäften auseinanderzusetzen.
Nach vielen Jahren diplomatischer Einsätze rund um unseren herrlichen Globus zog es mich aber wieder in meine Heimatstadt zurück, wo ich in einer Partei, die das C in ihrem Namen führt Karriere machte. Als Abgeordneter des Stadtteils Blankenese
zog ich in den Senat.
Ich arbeitete in der Baubehörde, wo ich endlich wieder mein Augenmerk auf Ihre Genossenschaft richten konnte, durfte und mußte.
So gelang es mir, als einige Ihrer Herren ein wenig in der Bredouille steckten, diesen durch ein paar gut plazierte Anrufe hilfreich in die Seite zu treten.
Leider kam der Tag der Wahl, und meine Laufbahn war zuende. Undankbar, wie der Pöbel nun mal ist, hatte man mich auf die Straße gesetzt.
Aber da war ja noch die Alternative. Der Hansa-Funk!
Irgendwo war ich ja sogar dem Schicksal dankbar, daß es mir endlich die Gelegenheit, auf die ich doch so unendlich lange gewartet hatte, bot: Bestand doch nun die Möglichkeit, Fahrer in dieser herrlichen Genossenschaft zu werden!
Ich hoffe sehr, daß Ihnen meine Ausführungen bei der Vorentscheidung behilflich waren.
Aber ich kann, mit Fug und Recht, behaupten, daß Sie wohl kaum einen kompetenteren und arbeitsfreudigeren Kollegen in Ihrem Team haben werden, als mich. Zumal ich selbstverständlich bereit bin, mich ohne 'Wenn und Aber' unter die Rechtsprechung Ihrer Institution zu stellen, und alles zu akzeptieren, was mir an Mühsal auferlegt wird.
Auch Gehaltskürzungen, kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld, würde ich klaglos hinnehmen.
"Zeit für 211211!" Hoffentlich bald! 168 Stunden die Woche!
Mir freundlichen Grüßen
Ihr Otto Hansi

serdarg
Ich bin neu hier
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*g*

Beitrag von serdarg » 06.10.2004, 18:23

ist es schon so schlimm geworden?

Jörn

Beitrag von Jörn » 09.10.2004, 11:10

Noch viel schlimmer! Das kann ich die glaubhaft versichern!

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