Ein Tag im Leben von Otto Hansi in Hamburg

Der virtuelle Taxitreff.
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Jörn

Ein Tag im Leben von Otto Hansi in Hamburg

Beitrag von Jörn » 30.05.2004, 14:00

Zum Nachdenken:
"Personalführung bedeutet, daß man seine Angestellten so schnell über den Tisch zieht, daß diese die dabei entstehende Reibungshitze als Nestwärme empfinden!"
(unbekannt)


(Nur um ALLEN Mißverständnis-Möglichkeiten und bierernsten Denkweisen vorzubeugen: Es handelt sich hier um eine Satiere! Wenn auch mit sehr traurigem und bitter realem Hintergrund!)

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Ein Tag im Leben von Otto Hansi

Es erscheint mir immer, als ob der größte Tag in meinem Leben erst gestern war: Die Überreichung meiner Teilnehmer-Urkunde beim Hansa-Funk Hamburg.
Ich hatte es geschafft! Der Traum meines Lebens war in Erfüllung gegangen.

Zwei waren auserwählt. Einer davon war ich.

Da standen wir nun. Gesenkten Hauptes (unsere Gesichter spiegelten sich in den blank polierten Schuhen), den ergreifenden Worten des neuen Großen Vorsitzenden K. lauschend. Er sprach viel von 'klaren aufrechten Menschen, die in dieser Genossenschaft arbeiten' würden. Verantwortung und Opferbereitschaft spielten eine weitere wichtige Rolle. Fast drei Stunden dauerte die Ansprache, aber ich könnte sie noch heute Wort für Wort rezitieren, so tief sind sie in mein Herz gedrungen!

Dann kam der überwältigende Moment, an dem wir unsere Urkunden erhielten. In goldenen Lettern, auf echtes Bütten geprägt, die Bestätigung, die Gott und der Welt kund tat, daß wir nun zur absoluten Elite unserer Profession gehörten. Das wir alle benötigten Nachweise und Prüfungen (darunter auch die Ausbildungs-Akademie Hanseatica) mit Erfolg bestanden hatten. Daß wir nun Hansa-Kutscher waren!

Danach wurden uns unsere neuen Uniformen überreicht, an denen in goldenen Lettern 'Hansa-Funk-Taxi' prangte.
Und auf dem Mützenschirm '211 211'. Weiß Gott! Ich wäre vor Stolz fast abgehoben! Ein Zähre hatte sich mir in die Augenwinkel geschlichen vor übergroßer Rührung.

Schließlich überreichte Vorsitzender K. uns noch eine kleine goldene Schachtel, in der, wie er uns verkündete, die beiden wichtigsten Gegenstände seien, die von nun an unser weiteres Leben prägen würden: Zwei Uhren! Eine für den Nachttisch und eine, um sie am Arm zu tragen.

Bemerkenswerterweise gab es auf dem Zifferblatt nur die Nummern 1 und 2. Aber bevor ich mich darüber wundern konnte, erklärte uns Genosse K., was es damit auf habe: "Von nun an gilt nur noch '211 211', meine Herren. trotzdem werden Sie keinen der wichtigen Termine verpassen, da ALLES in diesen Uhren gespeichert ist, was für Sie von jetzt an eine Rolle spielen wird. Und diese Uhren gehen nicht einmal eine tausendstel Sekunde in 10.000 Jahren falsch! Dafür sorgt der Mutter-Rechner in der Zentrale!"

Man hörte uns beide erleichtert durchatmen, denn es war soooo schön zu wissen, daß man sich, von dieser Sekunde an, um nichts mehr Sorgen zu machen brauchte, da unsere Zentrale bestimmte, was wir zu tun und zu lassen hatten. Das war einfach zu schön, um tatsächlich Realität sein zu können!

Ich kniff mich in den Arm, um sicher zu sein, daß ich nicht etwa träumen würde.

Dann wurden noch die Hymnen der Zentrale und der Bundesrepublik Deutschlands intoniert, wobei alle aus froher Kehl und frischer Brust einstimmten. Ein unglaublich erhebender Moment ging zuende.


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04. 32 Uhr (morgens natürlich!)

Gerade wollte ich mich noch einmal auf die andere Seite drehen, als der 'Wecker' begann: "Guten Morgen, Otto! (Sogar persönlich wurde man angesprochen!) Ich hoffe, du hast gut ausgeschlafen? Dann wollen wir sogleich dazu übergehen, uns auf den heutigen Arbeitstag einzustimmen! Zunächst die Worte die Großen Vorsitzenden zum Morgen!
'Guten Morgen, Genosse Fahrer! Das Wetter ist zwar heute nicht sehr gut, aber die Tatsache allein, daß du nun ein Hansa-Kutscher sein darfst, wird dir zur Erleuchtung und zum Wohlbefinden dienen! Mach das Beste aus diesem Tag! Für die Zentrale und für dich!'
Der Wecker meldete sich wieder.
"Otto. Die Zeit der Ruhe ist vorbei! Steh bitte auf und begebe dich in deine Naß-Zelle, denn nur ein sauberer Fahrer ist ein guter Hansa-Fahrer! Du hast genau 7 Minuten und 35 Sekunden Zeit dafür!"

Ich sprang auf. Voller Tatendrang und Energie!
Eiskalt rauschte das Wasser auf mich hernieder, ganz so, wie wir es auf der Akademie gelernt hatten. Der Ausbilder hatte uns eingebläut, daß nur Schwächlinge Wasser benutzten, das wärmer als 7 Grad Celsius war. Zähneputzen mit
der hauseigenen Marke 'Strahler 211 211'."

Da meldete sich auch schon der Computer.
"Gut gemacht! Und nun auf's Laufband!" In den nächsten 15 Minuten lief ich in weltrekord-verdächtigem Tempo 15 Kilometer. Danach 50 Liegestützen und 25 Pferdsprünge. Am Ende noch das Hantel-Training und Gewicht-Heben, bei dem statt der Gewichte zwei japanische Hartschalen-Koffer Verwendung fanden, die je 125,63 kg wogen. Schließlich galt es ja, die Übungen so realitätsnah wie möglich zu gestalten.

Zum Frühstück gab es zwei Knäckebrotscheiben, dünn bestrichen mit etwas Margerine, denn es war geltende Volksweisheit, daß ein voller Magen nun mal nicht gerne arbeiten täte.

Wieder meldete sich der Wecker: "Fahrer! Packe nun deine Sachen und mache dich auf den Weg, denn dein Bus geht in genau 13,4 Minuten. Denke daran, daß du pünktlich um 6.00 Uhr im Zentral-Computer eingeloggt sein mußt!"

Nun hieß es aber ein bißchen hurtig! Mein Handgelenk-Gerät signalisierte, daß ich schon 4,92 Sekunden hinter meinem Zeitplan war. Ich griff mir meine, natürlich schon gestern abend vorbereitete Tasche (selbstverständlich auch ein Geschenk der Zentrale, die das Leitmotiv des Hansa-Funkes zeigte: "Auf auf, Genosse! Es ist an der Zeit dich und deine Welt zu ändern!" Ron Hubbard

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5.55 Uhr

Obwohl der Bus 3,12 Minuten Verspätung hatte, schaffte es mein Personal-Gerät, mir immer gerade die Abürzungen zu meinem Fahrzeug zu nennen, die ohne große Staus und Ansammlungen von arbeitsscheuem *** zu meinem Arbeitsplatz führten.

Dort stand er: Mercedes S-Klasse! Erst 2 Monate alt! Alles blitzte und blinkte! War er doch gerade erst aus der zentral-eigenen automatischen Wasch- und Reinigungs-Anlage gekommen. Der Staubanteil innerhalb des Wagens belief sich auf 0,00003 Mikro-Gramm pro Kubik-Meter Raum. Leider, wie mir sofort nach Einschalten des Computers, die Zentrale mitteilte. Aber da es knapp unterhalb der Toleranz-Grenze lag, bekam ich die Startgenehmigung.

Punkt 6.00 war ich eingeloggt, und bekam darob auch gleich ein dickes Lob ausgesprochen. Jeder andere Kutscher hätte nun vielleicht erst einmal alle seine Gebrauchs-Utensilien um sich herum verteilt: Frühstücksbrot, Schundroman und CD's, nicht so bei einem Hansa-Fahrer! Dieser hatte alle diese Dinge nicht nötig, da er vor lauter Arbeit sowieso nicht dazu kam, zu lesen oder gar Musik zu hören. Und was Essen? Ein leichtes Hüngerchen war ja zu verspüren, aber das mußte wohl so sein. Appetit erhöhte ja schließlich die Arbeitsmoral! Das wußte man schon seit den sibirischen Straflagern!
Und sollte man wirklich mal länger als 5 Hansa-Zeiteinheiten an einem Posten verweilen müssen, so lag das kleine rote Büchlein schon griffbereit mit den 'Worten des Großen Vorsitzenden K.', das wirklich derart aufregend war, daß ich immer wieder hoch rote Lauscher bekam, obwohl ich es schon tausendmal gelesen hatte und jedes Wort zutiefst verinnerlicht hatte.

6.03 Uhr

Die erste Tour. Der Computer gab mir die Adresse des Kunden und die zu benötigende Zeit. Diese durfte nur mit 0,3 Minuten überschritten werden, da es sonst Strafpunkte gab, die auf dem Fahrer-Konto notiert wurden. Am Monatsende gab es dann eine Einkommens-Abrechnung, auf der auch die Bonus- und Strafpunkte aufgerechnet wurden, die dann, je nachdem was überwogt, zu einer kleinen Gehaltsaufbesserung führten oder zu deftigen Abzügen! Hatte man das Limit von Strafpunkten erreicht, wurde man speziellen Arbeits-Gruppen eingeteilt, die die Hunde-Schichten übernehmen mußten. Also diejenigen, die allseits besonders unbeliebt waren.

Aber ich schaffte es noch 8,94 Sekunden vor der Zeit, die die Zentrale dem Kunden avisiert hatte! Ich bekam einen Pluspunkt! Leute! Ich war überglücklich! Der Tag fing gut an!
Warnblinkanlage an! Ich riß die Tür auf, jumpte aus dem Wagen, wobei ich fast das Auto übersehen hätte, das gerade zum Überholen ansetzte. Aber ein doppelt Rittberger seitlich über die Motorhaube rettete das Leben des kostbaren Hansa-Fahrers. Da zeigte der Nutzen des täglichen Trainings! Und, da ich weiße Glaze-Handschuhe zur Uniform trug, gab es auch keinerlei Kratzer auf dem Wagen was jede Menge Straf-Punkte nach sich gezogen hätte.

Ich klingelte. Der Summer ertönte und eine männliche Stimme machte mich darauf aufmerksam, daß man im 8.Stock wohnen täte und ich behilflich sein solle. "Natürlich! Allein diese Frage hätte sich eigentlich erübrigt, denn ein Hansa-Kutscher ist IMMER willens, bereit und in der Lage zu helfen!"

8.Stock? Kein Problem für einen, der acht Wochen Trainings-Lager hinter sich gebracht hatte! 25 Sekunden später stand ich vor der Tür. Ein Bulle von Kerl öffnete. "Das Gepäck steht schon bereit!" Er deutete auf vier übergroße Behältnisse.
Dieses Mal mußte ich doch etwas schlucken, aber auch hier zeigte sich, wie vorausschauend die Zentrale mit dem Koffer-Training jeden Morgen gehandelt hatte. Je einen unter den Schultern und in den Händen ging es abwärts, denn der Fahrstuhl war kaputt. Der Ochse und seine Dulcinea fröhlich lachend hinter mir her, wobei mich dessen Frage "Ist das Gepäck auch nicht zu schwer?" eigentlich aufmuntern sollte.

Irgendwie schaffte ich es dann auch noch, die Türen des Fonts aufzureißen, bevor ich die Kisten hinten verstauen konnte. Meine Muckis erzählten mir, daß ich mein Training am Morgen noch intensivieren müßte.

Aber wenigsten war es eine gute Tour: Zum Bahnhof! Brachte immerhin 7 Euro 10!

Es gab zwar die alte Taxiregel, 'daß der Tag nur böse enden könne, wenn die erste Tour zu gut sei', aber ich ließ mich durch derartie Spökenkiekerei nicht ins Bockshorn jagen.

Am Ende der Fahrt wuchtete ich die Gepäckstücke aus dem Wagen und schleppte sie, für einen Kutscher dieser Elite-Zentrale natürlich selbstverständlich, bis vor das Gepäckfach des Zugabteils.

Und er gab mir sogar Trinkgeld! Wow! Ganze 10 Cent! Ich war derart dankbar, daß ich den Kunden fast umarmt hätte.

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Gegen Mittag geschah es dann! Zunächst nur ein leichter Überdruck, aber dann unumstößliche Wahrheit! Ich mußte mal für Kleine Jungs! Welch ein Disaster! Ich mußte einfach zuviel getrunken haben beim Frühstück! Das durfte nicht wieder vorkommen!
Aber nun stand ich vor dem Problem: 'Wie abschlagen, ohne gegen die dafür genehmigten Pausenzeiten zu verstoßen?' Der Vorgang der Erleichterung würde, da war ich mir ganz sicher, mindestens 1,45 Minuten in Anspruch nehmen! Aber der Computer genehmigte nur 0,7 Minuten für diesen Vorgang! Bei Überschreitungen der Pausenlänge gab es erhebliche Strafpnkte! Außerdem hatte ich erst vor 36 Minuten eine Kurzpause von 1 Minute eingegeben!
Großer Gott! Was für eine verfahrene Situation! Vielleicht sollte ich in Erwägung ziehen, mir morgens einen Katheter zu legen, wie ihn die Astronauten der früheren Apollo-Raumschiff in ihren Anzügen trugen? Ich beschloß, mir darüber heute Nacht während meiner Ruhephase darüber Gedanken zu machen.
Nun aber galt es zu handeln! Ich erblickte einen kleinen, von Büschen abgedeckten Parkplatz. Auto drauf, Tür auf und Reißverschluß runter! Ich ließ den Dingen freien Lauf, ohne auch nur eine Pause zu beantragen. Gerade, als ich die letzten Tropfen abschüttelte, rief mich der Computer: "Fahrer! Was haben Sie getan? Mitten in der Öffentlich Ihren Bedürfnissen nachzugeben! Ein unendschuldbares Vergehen! 100 Strafpunkte und eine Nachschulung! Nächsten Sonntag um 12.15 Uhr in der Zentrale! Das darf doch wohl nicht wahr sein!"

Mist! Ich hatte vergessen, daß unsere Wagen ja mit einer Webcam ausgerüstet waren, um das Verhalten des Fahrers während der Schicht zu dokumentieren! Auch noch ein Zusatztraining! Das würde mich mindestens 100 Euro Gehaltsabzug kosten plus die Schulungs-Gebühren von 250 Euro! Und das am ersten Tag!
Ich mußte zugeben, daß ich etwas genickt war. Wie konnte ich so etwas wieder gut machen?
Vielleicht sollte ich mein Leben geben für die Zentrale? Das würde sicherlich dazu beitragen, meinen guten Ruf wieder herzustellen.

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17.55 Uhr

Fünf Minuten vor Schichtende. Der Computer listete nun alle meine Umsätze des Tages auf. Da sie dem Anspruch der Zentrale entsprechend recht gut ausgefallen waren, bekam ich ein kleines Lob, das aber bei der Auflistung der Bonus- und Strafpunkte gleich wieder eingezogen wurde. Insgesamt hatte ich 78 Malus-Einheiten auf meinem Konto hinnehmen müssen. Und das in nur einer einzigen Schicht!
Gott und der Große Vorsitzende K. stehen mir bei!

Ich fuhr den Wagen noch vor die Wartungs-Anlage und stieg aus, wobei ich fast das 'Rote Büchlein' vergessen hätte, dessen Studium auf der Heimfahrt zwingend vorgeschrieben war.

Vielleicht sollte ich wirklich mein morgendliches Training noch erweitern? Vielleicht durch einen Yoga-Kurs für 'Positives Denken'? Die Zentrale bot so etwas an! Für nur 798 Euro!

Als ich in den Bus stieg fiel mir auf, daß der Fahrer gerade über Funk mit dem Mädchen in seiner Zentrale turtelte. Dabei kaute er hingebungsvoll an einer dickbelegten Altländer-Metwurst-Stulle.
Irgendwie machte sich in mir ein kleines Neidgefühl breit, aber es gelang mir, es erfolgreich zu unterdrücken.

Keine Schwachheiten, Junge! Du bist ein Hansa-Kutscher! Und der kennt so etwas Lächerliches und Erniedrigendes nicht!

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21.00 Uhr

Mein Abend endete mit einer Erbauungsstunde des Selbstfindungs-Instrukteurs des Hansa-Funkes an meinem PC.
Und noch bevor mir meine Muckis und Augenlider mitteilen konnten, daß es Zeit für mich sei, ein wenig der Ruhe zu pflegen, meldete sich die Uhr:

"Lieber Fahrer! Damit Sie morgen wieder fit zum Einsatz kommen, müssen Sie nun die vorgeschriebene Ruhephase beginnen! Gute Nacht!"












:D

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